Die Arbeiter der Wiener Bestattung waren sich in der Fernsehsendung "Am Schauplatz" einig: am wenigsten Trinkgeld geben die Akademiker. Nun magder Schmattes in Wien noch einbesonderes Thema sein, aber wie die "besseren Leut'" durch jene, die unten sind, erfahren werden, steht vielleicht doch in einem größeren Zusammenhang.
Hierzulande gilt Österreich als Spendenweltmeister - eine der vielen Selbsttäuschungen, von internationalen Statistiken längst aufgedeckt. Es sind die vielen kleinen Spenden, "die's bringen", nach Auskunft aller Organisationen. Denn das Spendenverhalten steht in keinem Verhältnis zum verfügbaren Einkommen. Vor zweitausend Jahren hat dies Jesus auch schon beim Opferstock im Tempel beobachtet und seinen Jüngern die arme Witwe und ihr Verhalten vor Augen geführt. In Österreich ist zu beobachten: Wer mehr hat, spendet weniger. Und so halten die Spenden mit dem Wohlstandszuwachs nicht mit. Mit dem gesellschaftlichen Aufstieg scheint ein Abstieg im sozialen Verhalten verbunden zu sein.
Alle wissen es: Von Jahr zu Jahr wächst der Wohlstand in Österreich und auch die Kluft zwischen arm und reich. Dieses Land zählt zu den reichsten Ländern der Welt - und was haben die Armen davon?
Nun wird dem Innenminister vorgeworfen, er wäre in die "Schule der Caritas" gegangen. Die Bischöfe halten dies mit Recht für ein Lob. Eigentlich wäre zu fragen, wie kann man überhaupt Politik als Beruf wählen, ohne in die Schule der Caritas gegangen zu sein, ohne mit den Schattenseiten der Gesellschaft vertraut geworden zu sein? Und in der Arbeit der Caritas können alle lernen, dass Caritas Politik nicht ersetzen kann. Deshalb schreit die Caritas - und auch die evangelische Diakonie - nach einer anderen Politik. Denn eine Gesellschaft, die es sich leistet, Arme auszuschließen, ist arm dran, auch wenn sie noch so reich ist.
Martin Jäggle ist Professor an der Religionspädagogischen Akademie Wien und Autor von Religionsbüchern. Zusätzlich engagiert er sich in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit.