Inter-Esse - Dazwischen-Sein

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Kaum ein Fremdwort ist im Deutschen so geläufig wie das "Interesse": Wenn zwei "sich füreinander interessieren", dann ist die Liebe nicht mehr weit. "Interessengruppen" finden sich zusammen, um gemeinsame Ziele zu verfolgen, Staaten haben mehr oder weniger legitime "Sicherheitsinteressen", und "interessanterweise" bedeutet "interest" im Englischen auch noch "Zins". Was ist das für ein eigenartig multifunktionales Wort, das kaum noch jemand als fremd empfindet, obwohl es eindeutig lateinisch ist?

Es handelt sich um ein Kompositum aus der Präposition "inter" und dem Verb "esse"."Inter" bedeutet "zwischen", und "esse" heißt "sein". Inter-Esse meint also wörtlich "Dazwischen-Sein". Für die Liebe leuchtet mir das ein: Da ist oder funkt oder funkelt etwas zwischen Menschen, es entsteht eine Anziehung -dann eine Beziehung. Hoffentlich bleibt, wenn beide einander immer näher kommen, der fruchtbare Zwischenraum dabei intakt, denn er ist es, der die Liebe lebendig hält.

Auch wer sich leidenschaftlich für die andere interessiert, wird nie mit ihm identisch. Das Dazwischen bleibt -zu respektieren.

Was aber geschieht dem belebenden Zwischenraum, wenn "Eigeninteressen" sich in den Mittelpunkt drängen? Wenn einer die andere besitzen und kontrollieren will? Wenn eine Regierung dem Gespräch entsagt und das Eigene gewaltsam, mit Panzern und Bomben durchzusetzen beginnt?

Denkerinnen wie Hannah Arendt oder Luce Irigaray haben das uneinnehmbare Dazwischen in die Nähe dessen gerückt, was fromme Leute wie ich immer noch "Gott" nennen. Wo also ist Gott, wenn Interessen den letztlichunverfügbarenRaumdazwischenbesetzen?Könnte es, Gott, die immerwährende Präsenz (Ex 3,14), die Liebe (1 Joh 4,8) neu beginnen, wenn wir verstehen, dass sich im Dazwischen entscheidet, ob wir lebendig bleiben?

Die Autorin ist Schriftstellerin und evangelische Theologin in der Schweiz

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