Islamischer Reformer, Papstkritiker, Staatsbeamter

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Der 28. November 2006 war wohl der mediale Höhepunkt in der Karriere des 54-jährigen Professors für islamisches Recht und Leiters der Religionsbehörde der Türkei, Ali Bardako D8glu. An diesem Tag traf der Beamte des türkischen Staates mit Papst Benedikt XVI. zusammen (die Details der Begegnung standen bei Furche-Redaktionsschluss noch aus).

Man darf dieses Ereignis als außergewöhnlich einstufen: Der Papst, immerhin das Oberhaupt von einer Milliarde Katholiken, kommt zu einem Beamten etwa im Rang eines Sektionschefs. Hintergrund der symbolträchtigen Zusammenkunft sind die Nachwirkungen der Regensburger Vorlesung Benedikts im September, in welcher der Papst einen byzantinischen Kaiser mit islamkritischen Aussagen zitiert hatte.

Es war Ali Bardako D8glu, der als einer der ersten und schärfsten Kritiker die Papstrede mit Ausdrücken wie "Kreuzfahrermentalität" und "feindselige Haltung" gegenüber dem Islam bedachte. Viele erstaunte die Heftigkeit dieser Reaktion, hatte man doch von türkischer Seite eher Mäßigendes erwartet. Bardako D8glu erreichte durch den scharfen Protest aber weltweite Aufmerksamkeit und nicht zuletzt das Gespräch mit dem Papst. Der Religionsbehördenleiter hatte im Vorfeld einerseits verlauten lassen, der Groll der Muslime sei noch nicht verraucht, er sehe aber die Aktivitäten des Vatikans in Bezug auf die Muslime als richtige Schritte. Andererseits hatte er gemeint, er wolle mit dem Papst von sich aus nicht über dessen Vorlesung reden, denn es gehe darum, in die Zukunft zu schauen ...

Bardako D8glus harsche Papst-Kritik verwunderte Kenner der Lage auch insofern, weil der aus Kastamonu an der Schwarzmeerküste Stammende als von sanftem Naturell sowie als liberaler Muslim und islamischer Reformer gilt. Unter seiner Leitung durchforsteten die Beamten seines Amtes die Überlieferungen aus dem Leben Muhammads mit dem Auftrag, alle nicht als authentisch geltenden Aussprüche des Propheten, die als frauenfeindlich eingestuft werden könnten, aus der Überlieferung zu entfernen.

Dieses für islamische Verhältnisse revolutionäre Ansinnen soll unter anderem dazu dienen, die Ehrenmorde und Zwangsehen, die in der ländlichen Türkei immer noch verbreitet sind, und die Bardako D8glu für strikt unislamisch hält, einzudämmen. Unter Bardako D8glu, der seit 2003 im Amt ist, wurden auch erstmals zwei weibliche Muftis ernannt.

Das "Amt für Religionsfragen" ("Diyanet") der sich als laizistisch verstehenden Türkei ist für europäische Augen ein Anachronismus: Bardako D8glu steht mindestens 60.000 Beamten vor, alle 80.000 Moscheen unterstehen seinem Amt, die Imame im Land werden vom Staat bezahlt, der die Moscheen und islamischen Bildungseinrichtungen auch erhält - und kontrolliert: Selbst die Freitagspredigten werden in der Religionsbehörde geschrieben.

Die religiösen Minderheiten in der Türkei - allen voran die Alewiten (je nach Schätzung zwischen 20 und 35 Prozent der Bevölkerung!) - werden hingegen nicht unterstützt. Andererseits ist die Religionsbehörde auch Träger türkischer Gemeinden und Moscheen in der Diaspora und stellt deren Imame. In Österreich ist das die "Türkisch-Islamische Union für kulturelle Zusammenarbeit in Österreich" (Abk.: ATIB), die mehr als 50 Moscheen und Gebetsräume betreibt.ofri

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