Kritik mit dem Dreschflegel

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Darf ein Kritiker Literaturnobelpreisträger, mit deren Wahl er aus diesen oder jenen Gründen nicht einverstanden ist, Idioten nennen? So jüngst geschehen in der sonst durchaus seriösen Fernsehtalkshow "lesenswert" des SWR, einer der vielen Neuauflagen des "Literarischen Quartetts". Dirk Schümer, Redakteur der Welt, meinte, von Moderator Denis Scheck auf seinen Unmut über die Entscheidungen des Stockholmer Komitees angesprochen: "Wenn man sieht, wie viel Idioten den gekriegt haben - von Jelinek bis Grass." Und der Moderator legt noch eins drauf: "Von Bob Dylan ganz zu schweigen."

Ein Mann der kritischen Zunft verzichtet im öffentlich-rechtlichen Sendeformat auf das Argument und greift lieber zum Schimpfwort, einfach so, aus einer Laune heraus, und sein Zunftgenosse pflichtet ihm bei. Ich finde das skandalös und habe das auch in einer Glosse für Zeit online gesagt. Die Literaturkritik in der Legitimationskrise demontiert sich durch Anbiederung, sie spekuliert auf die Ressentiments ihres Publikums und schwingt den Dreschflegel, anstatt die Feder zu spitzen. Viele der Leserkommentare belehrten mich darüber, dass diese Art der witzfreien Bezichtigung kein Skandal, sondern im deutschen Fernsehen Usus sei. Die meisten diskutierten freilich nicht die kritisierte Entgleisung, sondern deren Anlass und kamen zum Schluss, dass entweder Grass oder Jelinek oder Dylan oder alle drei den Preis echt nicht verdient hätten. Kronenzeitungsniveau mit Abitur -vor allem die Jelinek-Auslassungen. Was sie schreibe, sei "schlicht schlecht". Oder gar: "Grass konnte schreiben, aber Jelinek? Literatur? Bitte was?! Na, ich danke." Ich bin fast so weit, meine Vermutung, die Stammtisch-Injurie sei ein Symptom für eine allgemeine Verrohung der Sitten, auf die Leserschaft zu erweitern. Wahr ist: Jedes Publikum hat die Kritik, die es verdient.

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