Klimaaktivismus: Das neue Sit-in
Ist es gerechtfertigt, dass sich Aktivisten an Straßen und Kunstwerke kleben, um gegen die herrschende Klimapolitik zu protestieren? Ein Gastkommentar zum zivilen Ungehorsam.
Ist es gerechtfertigt, dass sich Aktivisten an Straßen und Kunstwerke kleben, um gegen die herrschende Klimapolitik zu protestieren? Ein Gastkommentar zum zivilen Ungehorsam.
Die Kurzfassung auf Wikipedia lautet: „Vor 35 Jahren, am 8. Dezember 1984, begann die Besetzung der Stopfenreuther Au östlich von Wien, mit der der Bau des Donau-Kraftwerkes bei Hainburg verhindert werden sollte. Die Besetzung konnte schlussendlich die Au retten und ermöglichte zwölf Jahre später die Gründung des Nationalparks Donau-Auen.“
Hinter diesen Worten verbirgt sich eine Großaktion dessen, was man in Juristenkreisen als „zivilen Ungehorsam“ kennt. Denn die Besetzung fand in einer Situation statt, in der bereits alle Baugenehmigungen vorlagen, was die teils prominenten Besetzer der Au, die dem Druck der Behörden, der Polizei und der anrollenden Baufahrzeuge nicht wichen, darunter Günther Nenning und Peter Turrini zusammen mit vielen Naturschützern, in eine prekäre Lage brachte: Sie handelten, strenggenommen, widerrechtlich. Sie nahmen damit in Kauf, als Gesetzesbrecher verhaftet und abgestraft zu werden.
Exakt diese Situation definiert den zivilen Ungehorsam, der, so gesehen, nur als Mittel statthaft scheint, um grundlegende Werte der Rechtsgemeinschaft gegen das Votum der gewählten politischen Repräsentanten im Parlament oder gegen eine Bürokratie zu schützen, die, rechtsformal betrachtet, auf der Basis geltender Gesetze – nicht selten im Dienst mächtiger „Player“ am Markt – handelt (vgl. dazu das Interview mit Marie-Luisa Frick). Dass die Protestierer, die sich teilweise an Bäumen anketteten, letztendlich die unmittelbar von der Rodung bedrohte Landschaft retten konnten, war eine Folge des klugen Einlenkens der Politik unter dem damaligen Bundeskanzler Fred Sinowatz. Und so gehört seit 1996 die Hainburger Au zum Nationalpark Donau-Auen.
In meinen frühen Tagen an der Universität formierte sich eine kleine Gruppe Gleichgesinnter, die bei Nacht und Nebel an verschiedenen Orten Plakate affichierten. Darauf wurde darüber informiert, wie und wo man am einfachsten aus der katholischen Kirche austritt. Die illegale Kleberei richtete sich gegen fragwürdige Normen des Kirchenrechts und gegen das umstrittene Konkordat von 1933. An der Universität hatten die Katholischen Fakultäten einen privilegierten Status; Priester mussten zölibatär leben, und Frauen wurden nicht zu sakralen Handlungen zugelassen. Privilegiert war auch der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen; verpflichtend die Leistung des Kirchenbeitrags entsprechend dem Einkommen. Natürlich änderte jene Plakataktion in der katholischen Provinz an all dem nichts.
Bigotte Demokratieschützer
Warum erwähne ich diese kleine Geschichte, klein in jeder Hinsicht, verglichen mit der Besetzung der Hainburger Au? Weil, wie ich meine, ziviler Ungehorsam sogar dann eine Berechtigung haben kann, wenn er ungeschickt platziert wird, ja, auch wenn er – David gegen Goliath – übers Ziel hinausschießt und schlussendlich überhaupt wirkungslos bleibt. Entscheidend ist der aufrichtige Wunsch, grundlegende Werte unserer Rechtsgemeinschaft gegen ihre scheinheiligen oder säumigen Hüter in Schutz zu nehmen. Womit ich schon bei den gegenwärtigen Aktionen der engagierten Klimaschützer bin, die zurzeit für Aufregung und Wut sorgen, welche nicht zuletzt von rechtspopulistischen Medien – aber auch bigotten Demokratieschützern – mit Gusto genährt werden.
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