Freda Meissner-Blau: "Überhaupt nicht zufrieden"

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Freda Meissner-Blau ist die Urmutter der Grünen Bewegung in Österreich. Mit der FURCHE spricht sie über die Zeit von Zwentendorf bis heute.

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Freda Meissner-Blau ist die Urmutter der Grünen Bewegung in Österreich. Mit der FURCHE spricht sie über die Zeit von Zwentendorf bis heute.

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DIE FURCHE: Was bedeutet Greenpeace für Sie?

Freda Meissner-Blau: Greenpeace ist für mich die aktivistischste, couragierteste und fantasievollste Umweltgruppe, die es in der Welt zurzeit gibt. In Amerika gibt es zwar noch ein paar extremere, aber das ist dann schon grenzwertig. Natürlich sind sie relativ straff organisiert, was ja auch zur Gründung von Global 2000 geführt hat, aber das ist ja nichts Schlechtes: Lasst tausend Blumen blühen.

DIE FURCHE: Geht Greenpeace manchmal zu weit?

Meissner-Blau: Mir nicht. Ich glaube in unserer ökologisch extrem gefährdeten Situation und in einer derart lauten und bunten Medienwelt kann man sich nur Gehör verschaffen mit - ich will nicht einmal sagen extremen - mit auffallenden Handlungen.

DIE FURCHE: Darf man im Namen der Ökologie auch Gesetze übertreten?

Meissner-Blau: Ja, man darf auch gegen ein Gesetz verstoßen. Unser Slogan war immer: Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Ich bin jetzt 80 und stehe nach wie vor dazu. Wer soll sich wehren, wenn nicht die Zivilgesellschaft?

DIE FURCHE: Wären Sie für Ihre Sache ins Gefängnis gegangen?

Meissner-Blau: Ja, ganz bestimmt. Sogar ganz gern, um meine Anliegen noch stärker zu vertreten. Sie haben mich nur nie genommen. (lacht)

DIE FURCHE: Halten Sie Greenpeace für populistisch?

Meissner-Blau: Viel weniger populistisch als die vielen Populisten, die uns regieren.

DIE FURCHE: Was haben NGOs wie Greenpeace den Grünen gebracht?

Meissner-Blau: Sie haben den Grundstein gelegt und das Bewusstsein der Bevölkerung gefördert. Ohne die Bürgerrechtsinitiativen hätte es die Grünen nie gegeben. Die österreichischen Grünen sind aus einer Volksabstimmung entstanden, nämlich Zwentendorf. Deshalb sind wir Älteren ja jetzt auch so enttäuscht, dass die heutigen Grünen, an deren Existenz ich ja mit schuld bin, etwa in der Frage des EU-Reformvertrags vollkommen vergessen, dass sie Teil einer Bürgerbewegung sind.

DIE FURCHE: Sind Sie wirklich, schuld' an den Grünen?

Meissner-Blau: Das ist natürlich ein bisschen sarkastisch gemeint. Ich bin schon froh, dass es die Grünen gibt, aber ich will auch, dass sie wirklich Grüne sind und nicht so hellgelb mit Schwarz untermischt.

DIE FURCHE: Was halten Sie von der Annäherung der Grünen an die ÖVP?

Meissner-Blau: Na eben gar nichts. Es ist undenkbar, dass umfassende grüne Ziele mit einer ganz kapitalistisch und neoliberal ausgerichteten Partei erreicht werden können. Bei dieser Art von Koalition werden die Grünen von Schwarz verschluckt. Den Grünen ist über die Jahre der Enthusiasmus verloren gegangen. Ich hätte mir gewünscht, dass die ursprünglichen Schwerpunkte erhalten bleiben, aber leider sind sie in den Hintergrund getreten.

DIE FURCHE: Sind die Grünen überhaupt zum Regieren geeignet? Oder doch eher ewige Oppositionspartei?

Meissner-Blau: Es braucht auch Oppositionsparteien, um Missstände aufzuzeigen. Peter Pilz macht da sehr gute Arbeit. Alle Beamten, denen etwas nicht passt, schicken ihm Hinweise, machen ihn auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam. Aber das allein kann doch nicht das Ziel einer Partei sein. Es ist durchaus legitim, dass sie auch mal regieren wollen. Die Frage ist nur mit wem und unter welchen Voraussetzungen.

DIE FURCHE: Wäre es besser, wenn die Grünen gemeinsam mit der SPÖ regieren würden?

Meissner-Blau: Mit der heutigen SPÖ auch nicht mehr wirklich. Aber es wäre mir schon lieber. Ursprünglich waren die Grünen ja sogar eine Bewegung innerhalb der SPÖ. Nur wurden wir dort nicht geduldet, also mussten wir eine eigene Partei gründen.

DIE FURCHE: Haben die Grünen ihren politischen Erfolgshorizont erreicht?

Meissner-Blau: Sicher nicht. Bevor wir ins Parlament eingezogen sind, als wir noch eine Bewegung waren, hatten wir eine IFES-Studie, die uns ein Potenzial von 35 Prozent bescheinigt hat. Das mag ein bisschen hoch gegriffen sein, aber zwanzig Prozent sind sicher im Bereich des Möglichen.

DIE FURCHE: Glauben Sie, ist die Gesellschaft Umweltthemen gegenüber überdrüssig geworden?

Meissner-Blau: Das glaube ich nicht. Die Leute leiden ja darunter. Sie leiden unter dem Straßenverkehr, unter der schlechten Luft und weiteren Belastungen. Man muss ihnen nur zeigen, wo die Zusammenhänge sind. Man darf nicht hoch wissenschaftlich über ihre Köpfe hinweg arbeiten, sondern muss sie bei ihrer eigenen Leiden packen.

DIE FURCHE: Also die Grünen sollten zu ihrem Ursprung zurückkehren, zur Umwelt?

Meissner-Blau: Ja selbstverständlich. Aber Vorsicht! Umwelt ist nicht nur Ökologie! Da gehören soziale Fragen dazu, Überlebensfragen, internationale Konflikte, Dritte-Welt-Fragen. Aber man muss das mit Überzeugung tun, mit Vehemenz.

DIE FURCHE: Diese Themen sind noch nicht ausgeschlachtet?

Meissner-Blau: Allein ihre Fragestellung zeigt mir, was für ein Grauschleier über die Situation unserer Welt gelegt worden ist, im Interesse derer, die nicht wollen, dass sich etwas verändert. Da heißt es, der Klimawandel ist übertrieben, die amerikanische Wirtschaft darf nicht gehindert werden und so weiter. Natürlich stehen da Interessen und sehr viel Lobbying dahinter. Je grauer es wird in unserer Atmosphäre - nämlich auch in der geistigen -, desto mehr wird man sagen, die Ökologie sei ein alter Hut. Die wirkliche Situation ist aber umso gravierender.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie die grüne Bewegung heute im Vergleich zu ihren Anfängen?

Meissner-Blau: Damals war es eine Welle der Engagierten aus allen sozialen Schichten und allen Berufen. Das war das Spannende an Zwentendorf. Unser Wissen war damals nur sehr oberflächlich, der Elan kam hauptsächlich aus der Überzeugung. Aber man kann so eine Massenbewegung nur anhand eines konkreten Falles aufrechterhalten. Die Menschen engagieren sich für das, was sie bewegt, sie engagieren sich nicht generell.

DIE FURCHE: Gibt es das Potenzial für eine Aktion wie Zwentendorf oder die Hainburger Au heute noch?

Meissner-Blau: Ich habe meine Zweifel, weil die Leute heute zu viele eigene Probleme haben.

DIE FURCHE: Aber das heißt ja, dass Umweltthemen nicht mehr so publikumswirksam sind?

Meissner-Blau: Ja natürlich. Im Interesse von einigen wenigen werden die vielen niedrig gehalten. Es gibt ein Potenzial im Druckkochtopf. Wenn es unerträglich wird, zischt es. So entstehen Revolutionen. Ich glaube nicht, dass wir eine revolutionäre Situation in Österreich haben, Gott sei Dank, aber ich würde sagen, weltweit geht es in diese Richtung.

DIE FURCHE: Würde ein kompromissloser Protest wie damals in der Au heute noch funktionieren?

Meissner-Blau: Das kann ich nicht beurteilen. Generell denke ich aber schon, dass es noch funktionieren würde, wenn es den Menschen unter die Haut geht.

DIE FURCHE: Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?

Meissner-Blau: Nein, Zwentendorf und Hainburg waren ermutigende Ansätze, weil sie uns beigebracht haben, dass die Machtlosen nicht machtlos und die Mächtigen gar nicht so mächtig sind. Ich habe für mich mitgenommen, dass man etwas tun muss, wenn man etwas verändern will. Zufrieden bin ich überhaupt nicht. Das war ein Anfang, der lebendig und überzeugend weitergeführt hätte werden müssen.

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