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Der Hydra Terrorismus sind neue Köpfe gewachsen

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Wer einst nach der Festnahme des Kerns der Baader-Meinhof-Bande geglaubt hatte, die Hydra des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland sei durch die Inhaftierung ihrer wesentlichen Köpfe lahmgelegt, muß heute feststellen, daß ihn seine Hoffnungen getrogen haben. Das wurde deutlich, als die Urteilsverkündung im Baader-Meinhof-Prozeß von Stammheim schon wieder von Meldungen über neue terroristische Greueltaten und Pläne überschattet wurde. Der Hydra des Terrbrismus sind neue Köpfe gewachsen und selbst die alten, vermeintlich unschädlich gemachten, sind noch am Werk. Aus den Gefängnissen heraus operieren Leute wie Gudrun Ensslin noch immer. Die Problemkreise Terrorismus und Anarchismus bleiben eine schwärende Wunde im Fleisch der bundesdeutschen Gesellschaft.

Die Politiker in Bonn, aber auch in den Bundesländern, die durch die schwierige wirtschaftliche Lage ohnedies genug herausgefordert und durch die rapiden Verschleißerscheinungen der SPD genug belastet sind, sehen sich ständig gezwungen, auch noch an der „Terroristen-Front“ zu kämpfen. Vordringliche Frage ist dabei, wie der Staat das Wirken der Attentäter schon im Vorfeld ihrer Taten wirksamer bekämpfen könnte. Die Opposition wünscht eine Verschärfung der Gesetze, vor allem eine Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen Verteidiger und Mandanten bei Verdacht der Konspiration. Die FDP lehnte diese Pläne als Einschränkung des liberalen Rechtsstaates ab. Die SPD findet keine einheitliche Haltung. So wird diese Frage zu einer weiteren Belastungsprobe für die ohnedies krisengeschüttelte Koalition.

In der Praxis dürften die von der Union vorgeschlagenen rechtlichen Maßnahmen wenig bewirken. Auch ohne direktes Zusammenwirken mit den Anwälten fänden die Terroristen Möglichkeiten, um aus den Gefängnissen heraus Absprachen zu treffen und Anweisungen zu geben. Auch ein erhöhtes Strafmaß dürfte bei Tätern, die ihr Leben schon bei der Tat riskieren und von Fanatismus beseelt sind, wenig abschreckende Wirkung erzieleii.

Gewichtiger sind die Anfragen der Opposition zum geistigen Vorfeld des Terrorismus. Dabei ist es allerdings weniger die jetzt noch einmal viel beschworene APO der sechziger Jahre, von der die Gefahren drohen, oder die sie heraufbeschworen hat. Die Anarchistenszene ist ja derzeit gerade dadurch gekennzeichnet, daß sich Veteranen des Terrorismus mit ganz neuen Kräften zusammentun.

Hier wäre vor allem der Frage nachzugehen, wie es dazu kommt, daß nach wie vor ein ausreichend großes Reser- voirvon Unzufriedenen vorhanden ist, die bereit sind, mörderische Gewalttaten zu vollbringen, wenn sie damit den verhaßten Staat treffen können. Ein bezeichnendes Licht werfen Artikel in den Studentenzeitungen zweier Universitäten - darunter eine „Renommieruni“ wie Göttingen - in denen Genugtuung, ja sogar Zustimmung über den Tod von Generalbundesanwalt Siegfried Buback geäußert wurde. Und es wirft ein bezeichnendes Licht auf das geistige Klima in bestimmten, vor allem studentischen Kreisen, daß selbst derartige extreme Geschmacklosigkeiten noch offen verteidigt wurden.

Die Bonner Regierung reagiert auf diese Herausforderung, die auch maßgeblich eine geistige ist, wie zur Stunde auf alle anderen auch, nämlich hilflos und schwankend. Innerhalb der SPD stehen sich zwei Lager gegenüber und Kanzler Schmidt findet in seiner die Staatsautorität stärkenden Haltung immer weniger Rückhalt in seiner Partei. Der qualvolle Streit mit den Jusos zeigt die Unfähigkeit' der Sozialdemokraten, mit ideologic ' sehen Auseinandersetzungen1 fertigt zuwerden und klare Positionen zu beziehen. Auch die FDP findet nur schwer eine einheitliche Linie und desavouiert sogar ihren eigenen Innenminister wegen seines Vorgehens gegen die Terroristen. Die Opposition, die zu Recht von der Notwendigkeit der geistigen Bewältigung der Herausforderung durch den Terrorismus spricht, zeigt nicht die nötige geistige Kraft und Entschlossenheit, um diese Auseinandersetzung tatsächlich zu führen, sondern wiederholt immer wieder die gleichen Grundsätze, die oft kaum noch von Leerformeln zu unterscheiden sind.

Erleichterung verschaffte in dieser Situation die Meldung von der Festnahme des Buback-Attentäters Sonnenberg. „Kommissar Zufall“ hatte dabei wesentlich mitgeholfen. Daß Zufälle, und nicht geplante Aktionen, die politische Szene in Bonn ein wenig aufhellen, ist nicht nur für den Kampf gegen den Terrorismus charakteristisch, sondern momentan generell für die Düsternis auf der politischen Bühne Bonns typisch.

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