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Gefährdete Familie - Wurzel der Kriminalität

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Gefährdete Familie - Wurzel der Kriminalität: Ende November 1978 ging eine in diesem Zusammenhang interessante Meldung durch die österreichische Presse. Ein Forscherteam der nicht gerade als „konservativ“ bekannten Gesamthochschule Essen (BRD) war zu dem Ergebnis gekommen, daß man in der Euphorie der sechziger Jahre die Wirkungsmöglichkeiten der Institutionen Kindergarten, Vorschule und Schule überschätzt hatte und für die geistige Entwicklung der Kinder bis zum 10. Lebensjahr nichts so wichtig ist wie die Familie.

Nach den Untersuchungsergebnissen müsse ehestens eine Umkehr in der Erziehungspolitik erfolgen, folgerten die Forscher. Das Schwergewicht der staatlichen Förderung sei auf die Familie zu verlegen. Es sei eine Einheit von Bildungs- und Familienpolitik und die Aufwertung der Familie, vor allem der nicht „außerhäuslich“ berufstätigen Mütter, anzustreben.

Diese Feststellungen stehen in einem gewissen Gegensatz zu den pragmatischen Erklärungen, von denen die österreichische Familienrechtsreform von 1978 begleitet war. Verschiedentlich wurde in diesem Zusammenhang von der „demokratisch, partnerschaftlich orientierten Familie“ gesprochen. Besonderer Wert wurde auf die Feststellung gelegt, daß die Reform eine echte Gleichstellung der Ehepartner und die Beseitigung von Vorurteilen, familiären und beruflichen Diskriminierungen der Freu anstrebe.

In den Mittelpunkt der längst fälligen Familienrechtsreform wurden demnach - zumindest was die Motivation des Gesetzgebers anlangt - die Rechte der Frau gestellt, wobei man von der Tatsachė ausging, daß das bis dahin gültige Familienrecht die Rechte des Manhes überbetont habe.

Den Wissenschaftler und Praktiker, der sich mit Erziehungsproblemen und Fragen der Jugendkriminalität zu befassen hat, sollte es, ungeachtet ideologischer Vorstellungen und Bindungen, befremdet haben, wie wenig im Zuge der Reform von Rechten der Kinder und Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern die Rede war.

Die Lebenserfahrung bestätigt, daß das Kind nicht nur in den ersten Lebensmonaten auf ungeteilte Zuneigung und Geborgenheit in der Familie angewiesen ist. Falls diese Prämissen für eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung nicht vorliegen, häufen sich psychosomatische Fehlentwicklungen, die wieder Ursache für spätere Kriminalität sein können.

Nach den Erfahrungen der Gerichte und Vollzugsbehörden entstammen etwa 90 Prozent aller Rückfallstäter desolaten Familien. Als Ursache für derart ungünstige Familienverhältnisse kommen verschiedene Umstände in Betracht, sei es, daß( nur ein Eltemteil vorhanden ist, der Täter aus einer Trinkerfamilie stammt, daß das Verhältnis Vater- Mutter gegenseitige Anpassung und notwendigen Verzicht vermissen läßt, das Kind im Zuge eines Scheidungsverfahrens und seiner Folgen die Kontaktpersonen verloren hat, oder die Eltern selbst durch eine kriminelle Vergangenheit belastet sind.

Es hegt die Vermutung nahe, daß auch der Rest der Rückfallstäter, die aktenmäßig keiner desolaten Familie entstammen, in ungünstigen familiären Verhältnissen aufgewachsen ist. Dies wird vor allem für solche Täterpersönlichkeiten zu gelten haben, die rein äußerlich im finanziellen Wohlstand aufgewachsen sind und deren Eltern die Möglichkeit geboten wurde, Mißstände hinreichend zu verdecken. In solchen Fähen wird häufig von Wohlstandskriminalität gesprochen.

Folgt man dieser These, so ergibt sich daraus zwangsläufig, daß eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität nur von ihrer Wurzel, der Fami-

Der neueste Sicherheitsbericht weist für 1978 eine leicht sinkende Jugendkriminalität aus: 17.729 Personen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren wurden demnach im Vorjahr als Tatverdächtige eruiert, um 7,7 Prozent weniger als 1977. Eine erfreuliche Entwicklung in einem unerfreulichen Bereich. Den Stellenwert, den die Familie in diesem Zusammenhang haben sollte, beschreibt dieser Beitrag, den wir, leicht gekürzt, der von der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft im November herausgegebenen Studienarbeit „Strafvollzug heute“ entnommen haben.

lie, her mögheh sein wird. Es erhebt sich die Frage, welche Maßnahmen in dieser Richtung zu setzen und auf welche Weise sie zu realisieren wären. Reformen dieser Art dürften aber kaum ohne Änderung der derzeitigen Gesellschaftsstrukturen und der Gesellschaftsordnung durchsetzbar sein.

In Österreich blieb man auf halbem Weg zur wirkungsvollen Reform stehen und dokumentierte Gleichbe-

rechtigung und Partnerschaft für die Fähe, die sich bedauerlicherweise auf ein Gesetz berufen müssen, um dem Institut der Ehe überhaupt einen oder einen neuen Inhalt geben zu können. Daß dieser „neue Inhalt“ dem gesellschaftlichen Bedürfnis eher gerecht werden könnte als die „eheliche Zwangsgemeinschaft“ alten Rechtes, stellen die Scheidungsstatistiken der letzten Jahrzehnte nicht erst für 1978 in Frage.

Da man mit der Forderung nach beruflicher Gleichberechtigung der

Frau ein schon bisher bestehendes Problem, das der dem beruflichen und Gewinnstreben der Eltern zum Opfer fallenden Kinder, jetzt auch noch legalisiert hat - die auf did Kinder: bezogenen , Begleitbestimmungen des Reformgesetzes werden daran nicht viel ändern können -, .müssen $ie Zukunftprognosen, was die Gesundung der Familien anlangt, zur Besorgnis Anlaß geben.

Es erscheint unsinnig, auf der einen Seite für die Behandlung der Rechtsbrecher und damit für Menschlichkeit einzutreten, auf der anderen Seite jedoch gleichzeitig die Augen vor den Wurzeln der Kriminalität zu verschließen und zu schweigen, wenn die Ehe ihrer natürlichen Funktion entkleidet und zur Erwerbsgemeinschaft degradiert wird.

Was zur Abhilfe zu geschehen hätte, kann hier leider nicht erörtert werden. Vorläufig haben die Kämpfer für eine Verbesserung der sozialen Situation der straffällig Gewordenen auch diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und sie bei ihren Bemühungen um einen wirksamen Schutz der Gesellschaft entsprechend zu berücksichtigen.

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