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Der Auftrag und die Chance

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Wilhering: ein Stift im Oberösterreichischen, die Kunsttopographie bezeichnet es als schönstes .Rokokostift Österreichs. Wilhering: wie so vieles, das aus barocker Bau-. lust erwachsen ist, ein Torso, reizvoll gerade im Unvollendeten. Wilhering: ein traditionsreiches Stiftsgymnasium, seit kurzem durch großzügigen Ausbau zu den modernsten Schulbauten des Landes zählend.

Und Wilhering ist schließlich noch mehr als obligates Ziel sommerlicher Kunstfahrten oder sentimentaler Erinnerungen an vergangene Schultage im Konvikt. „Wilhering“ — das ist im Sprachgebrauch der KSJ-Gruppen in ganz Österreich heute ganz einfach die Bezeichnung für die „Werkwoche“ — oder, wie sie heute heißt, „Studienwoche“ — dieser katholischen Mittelschülerorganisation, die 1965 schon zum zwölftenmal durchgeführt wurde.

Das große Bundestreffen zu Pfingsten in Salzburg mag Schuld getragen haben, daß sich heuer für Wilhering weniger Teilnehmer gemeldet hatten als in den Jahren zuvor: 85 Teilnehmer aus KSJ-Gruppen aller Bundesländer und — besonders herzlich begrüßt — aus Süd-tirol hatten sich für eine Woche an der Donau getroffen, um das Thema „Idee und Wirklichkeit in der Politik“ zu erarbeiten. Eine Themenstellung, die ebensogut in ein Seminar für „political science“ gepaßt hätte, die also von den Hörern einiges an Voraussetzungen abverlangte. Waren es in den letzten Jahren Themen, wie „Die Welt, in der wir leben“ oder „Mächte, die uns formen“, so hatte man heuer bewußt die Teilnehmer mit dem Wort Politik konfrontiert, mit einem Wort also, von dem angeblich die Jugend heute nichts wissen will, mit einem Wort, das im täglichen Sprachgebrauch abgewertet ist wie kein zweites.

Gelungene Organisation

Leute, die „es wissen müssen“, versicherten nachher, die Wilherin-ger Woche von 1965 sei eine der gelungensten Werkwochen gewesen, an die sie sich erinnern könnten. Auf die Frage, woran das gelegen haben mochte, gab es freilich die widersprechendsten Antworten. Niemand wußte es genau zu sagen. Manche TeUnehmer dachten sogar lange nach, ohne die Antwort zu finden, einige waren der Ansicht, daß vielleicht heuer das Essen... ?

Die Vorbereitung der Woche jedenfalls war gründlich und wohlorganisiert: Hilfsmittel für die Leiter der einzelnen Arbeitskreise, in denen die Themen in kleinen Gruppen eingehend erarbeitet wurden, standen in großer Zahl zur Verfügung — von der Fachbücherei, in der die wichtigste Literatur entlehnt werden konnte, über Dokumentarfilme bis zu Tonbändern von Originalaufnahmen von Sitzungen des Deutschen Reichstages unter Hitler. Eine großartige Unterstützung also der Referate, die die Teilnehmer in die Problematik der Themenwahl einführten: Universitätsdozent Dr. Erika Weinzierl sprach über den „Traum vom Reich“, Univ.-Prof. Dr. Anton Burghardt über „Marxismus — Mythos und Wirklichkeit“, Parlamentsrat Dr. Wilhelm Cerny über den Liberalismus, Chefredakteur Dr. Richard Barta über „Kirche und Politik“, Generaldirektor DDr. Willy Lorenz über den „Staat, den keiner wollte“ und Abgeordneter zum Nationalrat Dr. Karl Kummer über „Die Gründung der Zweiten Republik“.

Guter Ruf verpflichtet

Die Zentralführung der KSJ ist sich sehr wohl dessen bewußt, daß die Zahl der Teilnehmer und der Ruf, den die Wilheringer Studentenwochen in den zwölf Jahren ihres Bestehens errungen haben, zugleich Ehre, aber auch Verpflichtung bedeuten. „Es gilt“, sagt man in der Wiener Nibelungengasse, dem Sitz der Organisation, „ein Niveau zu halten, das auch Außenstehende als gut bezeichnen.“

Und über die Teilnehmer befragt, die sich jedes Jahr zur Studienwoche melden und dafür immerhin •ine unbeschwerte Ferienwoche voll Nichtstun gegen sehr konzentrierte, arbeitsreiche Tage eintauschen, meint man, daß sich wohl nur solche Studenten melden, die an Politik, Staat und Kirche interessiert sind, nicht jene unauffälligen „mausgrauen Typen, die man leider allzuoft in unseren Schulen sieht“. Damit wird auch der immer wieder gehörte Vorwurf widerlegt, Jugend wolle von Politik nichts wissen. Nicht wenige aus den Reihen der KSJ haben den Auftrag und die Chancen, die sich ihnen darboten, ergriffen. Auch darin sehen die Wilhering-Teilnehmer eine Tradition vor sich, und dieses Engagement, in welcher Art es sich auch konkret ausprägt, ist eine weitere

Verpflichtung, die aus dem unscheinbaren Anmeldeabschnitt erwächst.

Zum dritten aber geht es in Wilhering nicht nur um Wissensvermittlung in irgendeiner Form, es geht auch um die Gemeinschaft, die den einzelnen und die der einzelne bereichern soll. Die Gruppe, die da für eine Woche in die sommerlich stillen Räume des Stiftsgymnasiums eingezogen ist, ist Kirche: die Kirche der Wilheringer Studientagung. „Sei ein aktives Mitglied dieser Kirche“, heißt es in der Broschüre, die jeder Teilnehmer zur Begrüßung in die Hand gedrückt bekommen hat. „Wir sind sicher, daß dies für dich ohnehin selbstverständlich ist. Und wenn es sich um Sport, Diskussionen, Musikaufführungen handelt, auch wenn du in der ,Bar' sitzt oder in der Bücherei, wir wünschen, daß du dich wohl fühlst in unserer Gemeinschaft.“

Sport, Diskussionen — weitere Punkte des Wilheringer Programms, die das Gemeinschaftsgefühl stark spüren lassen. Oder doch zumindest spüren lassen sollten. Am Sportplatz, in tobender Fußballschlacht, war freilich manchmal recht heftig ein gewisser „Diözesanföderalismus“ zu spüren...

Ebenso entzündeten sich Meinung und Gegenmeinung im hitzigen Streitgespräch. Gelegenheit bot sich genug, in der improvisiert angesetzten, doch nichts weniger als das wirkenden Forumsdiskussion zwischen dem Vertreter der „Arbeitsgemeinschaft der Katholiken in der SPÖ“, Dipl.-Ing. Spitaler, und dem Präsidenten des Beirats der KSJ, Vniv.-Prof. Dr. Burghardt, oder während der für den letzten Tag angesetzten Diskussion zwischen Finanzminister Dr. Schmitz und dem Wiener Gemeinderat Liwanec über das sozialistische „Programm für Österreich“. Den Diskussionsrednern blieb nichts geschenkt. Unbekümmert stellten die jungen Zuhörer ihre Fragen, deren erfrischende Formulierung und erfreuliche Direktheit erstaunliche Vertrautheit mit der Materie bewies.

Erfreuliche Freigebigkeit

Der Ruf, den die Studienwochen längst errungen haben, zeigt sich in der Bereitwilligkeit, sie zu unterstützen: Zahlreiche Verlage haben Bücher aus ihrer historisch-politischen Produktion zur Verfügung gestellt, die politischen Parteien zeigten sich ebenfalls recht freigebig mit Informationsmaterial.

Die Selbstlosigkeit aber, mit der das Stift Wilhering den Studenten hilft, verdient hervorgehoben zu werden; so kann der Teilnehmerpreis nach wie vor unglaublich niedrig gehalten werden, die Schlafräume im alten und die modernen Unterrichtsräume im neuen Kon-viktsgebäude dürfen benützt werden. Und dieses Entgegenkommen bedeutet sehr viel mehr als materielle Hilfe — ohne die es freilich auch nicht geht —, die Unterstützung des Stiftes ist also nicht zuletzt der Grund, daß die Studienwoche nun schon untrennbar mit dem Namen des Stiftes verbunden ist.

Die Fahnen der Bundesländer, die eine Woche lang vor dem Stiftsgebäude geflattert sind, sind nun wieder eingezogen. Herbstnebel ziehen von der Donau herauf. Die Studienwoche ist abgeschlossen. An der Vorbereitung der 13. Werkwoche wird bereits gearbeitet...

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