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Liegt ein Verbot vor?

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„Es dürfte Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein“ — „Da dürfte etwas nicht stimmen“ — „Dieser Betrag dürfte nicht zu hoch gegriffen sein“ — „Der Verbrecher dürfte die Grenze überschritten haben“ — „Dieses Kleid dürfte passen“ — „Es dürfte wahr sein“ — „Der Direktor dürfte krank sein“ — „Dieses Paket dürfte zehn Kilogramm

haben“ — „Dieses Stück dürfte Ihren Beifall finden“---Dürfte, dürfte! — Immer

dürftel — Es dürfte nichf vorkommen, dafj wir so oft dürfte sagen! Es dürfte unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen, dafj „dürfte“ nur dann angebracht ist, wenn ein — Verbot vorliegt! Jawohl: ein Verbot! — „Ich würde gerne eine Zigarre rauchen, wenn ich dürfte“, seufzf ein Kranker (und denkt an das Verbot des Arztes). „Ich würde gerne Kuchen essen, wenn ich dürfte“, sagt die schlanke Filmdiva (und denkt an ihren Körperumfang, weil dieser vertraglich nicht überschritten werden darf). „Müller käme sicherlich zum Stammfisch, wenn er dürfte“, sagen die Kollegen Herrn Müllers (und denken daran, dafj wohl die gestrenge Gattin Herrn Müllers diesem ein Teilnehmen an der Stammtischrunde verboten hat). „Ich käme ja gerne zum Stelldichein, wenn ich dürfte“, versichert der Backfisch seinem Tänzer in der Tanzschule (und denkt daran, dafj die Tante ein Sichverspäten strengstens untersagt hat). — Ja : man würde (und würde gerne), wenn es einem nicht verboten wäre, wenn man eben — dürfte! in solchen Sätzen (und nur in solchen) darf man dürfte sagen! Das Wort „dürfte“ in Sätze einzuschmuggeln, in denen von einem Verbot keine Rede sein kann, ist eine richtige Ungehörigkeit.

Die eingangs gebrachten Beispiele lauten richtig: „Es ist wohl Ihrer Aufmerksamkeit entgangen“ — „Da stimmt wohl etwas nicht“ — „Dieser Betrag ist wahrscheinlich nicht zu hoch gegriffen“ — „Der Verbrecher hat wahrscheinlich die Grenze überschritten“ — „Vermutlich ist es wahr“ — „Der Direktor ist vermutlich krank“ — „Dieses Paket hat etwa zehn Kilogramm“ — „Ich glaube, dieses Stück wird Ihren Beifall finden“.

Geben wir uns also einen Ruck — und vermeiden wir das unangebrachte „dürfte“! Der Mensch ist zwar ein Gewohnheitstier, aber er ist auch ein Mensch mit freiem Willen. Es geht schon, wenn man sich — zum eigenen Besten — ein wenig zusammennimmt. (Oder wollen wir weiterhin unseren — Schlendrian gehen?) Prägen wir uns also recht gut ein: Wenn sonst kein Verbot vorliegt, ist es verboten, „dürfte“ zu sagen und — zu schreibenl

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