Deutsche Bundestagswahl: Es lebe das Vorurteil

Ich habe meine Stimme abgegeben. Mit Mühe. Zuerst habe ich zu spät meine Wahlunterlagen angefordert. Also teilte mir die Wahlbehörde mit, ich hätte die Frist versäumt. Mit einem Hinweis: Ich könne – mit glaubhafter Begründung – Einspruch erheben. Das habe ich getan und die Verzögerung der österreichischen Post in die Schuhe geschoben.

Mit Erfolg! Zwei Tage später war mein Stimmzettel da. Es lebe das Vorurteil. Mit roten Lettern war vermerkt, die Unterlagen mögen spätestens drei Werktage vor der Wahl zurück in Hamburg (mein letzter Wohnsitz in Deutschland) sein. Also machte ich rasch meine beiden Kreuzchen und schluckte die Express-Post-Gebühr. Diese Aktion ist ein Brigitte-Quint-Klassiker. Hausgemachter Stress liegt mir im Blut.

Aber war es das wert? Meine Stimme wird das Kraut nicht mehr fett machen. Sie ist wie ein Tropfen im Meer. Wie eine Liane im Kongobecken. Wie ein weiterer Instagram-Follower von Justin Bieber. Wie ein Gilet im Kasten von ZiB-Moderator Tarek Leitner. Wie ein Deziliter Bier im Maßkrug. Wie ein Impfling mehr in Dänemark.

Den Begriff „Ganzheit“ gab es in der deutschen Sprache bereits vor dem 8. Jahrhundert. Gemeint ist, dass die Gesamtheit aller Teile eine Einheit bilden. Physiker wie Ethiker beschreiben das als Vollkommenheit. Meine Stimme macht die Wahl in Deutschland ein Stück vollkommener. Es wäre gelogen, wenn man sich bei diesem Gedanken nicht echt wichtig vorkommen würde. Wer will schon eine Nummer sein.

Vielleicht gibt Justin Bieber seinen 193 Millionen Followern auch dieses Gefühl. Nun muss ich mich nur noch bei der österreichischen Post entschuldigen. Sie als Sündenbock zu diffamieren war hanebüchen – aber leider VOLLKOMMEN notwendig.

Lesen Sie auch die Quint-Essenz : "Von der Demütigung Mittelmaß zu sein" oder "Feenhafte Werte".