Agenten sollten nicht lieben

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Die Imaginationskraft von Ulla Berkewicz ist die Stärke und zugleich Schwäche dieser Autorin.

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Die Imaginationskraft von Ulla Berkewicz ist die Stärke und zugleich Schwäche dieser Autorin.

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Ein kühler Herbstschleier nistet in Amsterdam. Die Amstel gibt im Morgengrauen Leichen frei, Fußballfans holen sich blutige Köpfe im Schlagabtausch mit der Polizei. Die Welt Ulla Berkewicz' ist kein heimeliger Ort. Ihre Menschen sind zerbrechlich. Ihr Schicksal, ihre Vergangenheit haben sich in ihren Leib gegraben. Eine unterschwellige Todesmelodie schwingt auch im Roman "Ich weiß, daß du weißt" mit, wenn sie in dichten Stimmungsbildern ihre Geschichte aufrollt. Vom Theater kommend, kann die deutsche Autorin ihre Wurzeln nicht verleugnen.

Frierend läßt im ersten Bild Tatjana, eine alte russische Emigrantin, die sich täglich vom ersten Stock ihres Hauses hinunter in ihr Lokal "Ural" schleppt, die Nacht ausklingen. Ihre Gedanken folgen zwei Menschen, die ihr gerade die Geschichte ihrer Liebe anvertraut haben. Im nächsten Bild befindet man sich bereits dort, wo alles anfing. Zunächst kommt Alon Katznelson ins "Ural", Tage später stolpert auch Olga Michelizki die Stufen hinunter. Ein wundersames Völkchen hockt im Kneipendunkel, die alten Lebensfreunde der mütterlichen Wirtin: Elias, der Spinoza zitierende blinde Philosoph, Gigi, die im Alter noch mädchenhafte Ballerina, Eduwaard, der "Mann von Welt", der nur durch eine Kehlkopfmaschine sprechen kann, nächtens Gestrandete und an den Rand der Gesellschaft Gedrängte. Charaktere, deren Lebensgeschichten Berkewicz um die eigentliche Handlung rankt, die sich nach und nach als romantische Liebes- und etwas krude Agentengeschichte entpuppt: Alon ist Hirnforscher, Professor für "Brain Research" an einem Amsterdamer Institut und arbeitet für den israelischen Geheimdienst an einer das Bewußtsein manipulierenden Waffe. Olga ist in einem desolaten Elternhaus und Betreuungsinstitutionen in der DDR aufgewachsen und wurde von der Stasi in libanesische und iranische Ausbildungslager geschickt, "mit sozialistischem Gruß der Partei Gottes zur Verfügung gestellt". Getarnt als Regieassistentin am Amsterdamer Opernhaus, soll sie im Auftrag radikaler Islamisten dem Israeli die Pläne für die Waffe abluchsen.

Der Roman beeindruckt weniger durch seine Handlung als durch die Intensität einer bis ins Detail um Präzision bemühten Sprache, mit der die Autorin zu den Tiefen existenzieller Lebenserfahrungen vordringt. Anschaulich beschreibt sie die Wehrlosigkeit angesichts der Liebe, das Erschrecken, aus der Rolle zu fallen, die wachsende Lust, sich einander auszuliefern und den Zynismus der Auftraggeber. Schmerzhaft werden Erinnerungen lebendig, wenn Bomben auf jüdische Einrichtungen fallen oder das israelische Militär zu einem seiner Gegenschläge ausholt. Selbst im kuscheligen "Ural" sitzt der Tod mit am Tisch. Leben vergeht, ein anderes wird geboren. In ihrem ehrgeizigen Streben nach literarischer Dichte und Perfektion versteigt sich die Autorin manchmal in gekünstelt wirkende Sprachkreationen. Sieht man darüber hinweg, entdeckt man im erstickten Aufschrei am Grab eines Freundes, ausgestoßen von einer Figur, der gerade einmal zwei Zeilen gewidmet wurden, eine Geschichte. Berkewicz' Imaginationkraft ist ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche.

ICH WEISS, DASS DU WEISST Roman von Ulla Berkewicz Verlag Suhrkamp, Frankfurt/M. 1999 262 Seiten, geb., öS 277,-/ e 20,15

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