Werbung
Werbung
Werbung

Die "Möwe" in der Josefstadt: Tschechows Figuren aus den Augen verloren.

Regisseur Hans-Ulrich Becker will eine zeitlose, entschlackte Möwe zeigen, bleibt aber schmalspurig in seiner Interpretation. Er konzentriert sich auf den Generationenkonflikt und verliert dabei den Blick auf die Tschechow'schen Figuren. Michael von Au etwa (als Dieter-Dorn-Schauspieler bekannt) ist ein Trigorin der "Generation Golf": ein fescher Sunnyboy, aber schwach wie ein groß gewordenes Muttersöhnchen. Als er sich in die angehende Schauspielerin Nina verliebt, fleht er seine Frau Arkadina (Andrea Eckert) an: "Lass mich keine Sekunde allein" und krallt sich verzweifelt wie ein Pubertierender an ihren Brüsten fest. Auch Eckerts Darstellung der erfolgreichen Schauspielerin geht über Selbstinszenierung nicht hinaus. Jede Bewegung wird zur Pose, und während sie manieriert über die Bühne wie über einen Laufsteg stolziert, bleibt die Existenzangst der Figur auf der Strecke.

Überhaupt dominiert eine Art Probensituation: Rechts ein Regiepult mit einer Flasche Vöslauer, aus der die Schauspieler nach einer anstrengenden Szene einen Schluck nehmen, und im Hintergrund lassen die Musiker den Sound der gealterten 68er wiederaufleben, die Toni Slama als hüftschwingender Arzt Dr. Dorn mit flottem Käppi repräsentiert. An Stelle von Lebensüberdruss und Verzweiflung herrscht eine schwüle, träge Sommeratmosphäre wie bei Tennessee Williams. Der Alkoholkonsum ist jedenfalls hier wie dort hoch. Vor allem die junge Mascha ertränkt ihren Weltschmerz in Wodka und Bier. Maya Bothe (in Rastazöpfen und Gruftie-Kluft) ist mit der Rolle komplett überfordert. Ihr Spiel der Trunkenheit ist angestrengtes Bemühen, sie lallt und stürzt, doch im nächsten Moment wieder artikuliert sie glasklar. Bothe findet keinen Gestus für die Rolle. Auch im zweiten Teil nicht, wenn sie adrett gewandet und mit dem Lehrer Medwedenko (Michael Dangl) verheiratet, immer noch Kostja nachtrauert.

Überhaupt ist Becker in der Schauspielerführung schwach. So bleibt auch Florian Teichtmeister als Kostja blass und konturenlos, Gerti Drassl hingegen überzeugt als Nina: Keineswegs elfenhaft, sondern bodenständig zeigt sie ein Mädchen vom Land, dessen Träume systematisch zerstört werden. Vor allem ihr ist es verdanken, dass die Anfangsszene, in der Kostja auf der Laienbühne sein Avantgarde-Stück zeigt, gelingt. Alexander Müller-Elmau hat dafür die Szenerie klug arrangiert. In der Mitte der leer geräumten Bühne deutet ein runder Zylinder das See-Panorama an, vor dem die Performance stattfindet. Arkadinas Bruder Sorin (ausgezeichnet: Dietrich Hollinderbäumer) filmt alles mit. Am Ende sehen die Jungen wie verstaubte Amtsdiener aus, während die Lebensgier des alten Sorin unvermindert weiterbrodelt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung