"Alles für andere, für sich nichts"

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Johann Heinrich Pestalozzi gilt noch heute als Inbegriff des Lehrers, Erziehers und Pädagogen.

Schrecken und Grauen des Krieges zeichnen am erschütterndsten die Schicksale von Kindern, gestern wie heute: "Die meisten dieser Kinder waren, da sie eintraten, in dem Zustand, den die äußerste Zurücksetzung der Menschennatur zu seiner notwendigen Folge haben muss. Viele traten mit eingewurzelter Krätze ein, dass sie kaum gehen konnten, viele mit aufgebrochenen Köpfen, viele mit Hudeln (Lumpen), die mit Ungeziefer beladen waren, viele hager wie ausgezehrte Gerippe, gelb, grinsend, mit Augen voll Angst und Stirnen voll Runzeln des Misstrauens und der Sorge, einige voll kühner Frechheit, des Bettelns, des Heuchelns und aller Falschheit gewöhnt, andere vom Elend erdrückt, duldsam, aber misstrauisch, lieblos und furchtsam ..."

Der "Brief aus Stans", den Johann Heinrich Pestalozzi 1799 an einen Freund schrieb und aus dem die hier zitierte Stelle stammt, beschreibt die Waisen, die nach blutiger Niederwerfung des Widerstandes gegen die französischen Truppen im Schweizer Kanton Unterwalden zurückblieben, befasst sich mit der Pflege, der Betreuung und Erziehung dieser Kinder. In der Erziehung dieser Geschundenen und Erniedrigten erlebte Pestalozzi als Resultat "ein das Ganze der Seelenkräfte umfassendes Wachstum und eine Gemütsstimmung, in der ich die Fundamente der Menschenweisheit vielseitig und sicher entwickelt sah".

Pestalozzi (1746 bis 1827), dessen Name bis heute als Synonym für "Lehrer", "Erzieher", "Pädagoge" steht und dessen Begriffsbild von "Herz, Geist (Hirn) und Hand" sich ungebrochener Beliebtheit beim Zitieren erfreut, scheiterte in den meisten seiner praktischen Erziehungsunternehmungen (Armenschulen, Waisenhäuser, landwirtschaftliche Schulen, Produktionsschulen); nicht zum wenigsten war daran sein mangelndes Geschick in den Angelegenheiten der Ökonomie und der Organisation schuld.

Der große Pädagoge faszinierte durch sein persönliches Charisma und durch die Kraft seiner Ideen, wie er sie in seinen Schriften gestaltete. "Lienhard und Gertrud", ein heute in der Literaturgeschichte nur mehr nebenbei erwähnter Bildungs- und Dorfroman, erzielte durch den unerschütterlichen Glauben, dass durch Erziehung der Mensch auch aus größter Verwahrlosung und Verkommenheit zur "Veredelung" geführt werden könne, ebenso starke Wirkung wie die "Freymüthigen Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechtes" (nur aus dem Innern des Menschen begründet sich das Sittliche!) oder die Briefe "Wie Gertrud ihre Kinder lehrt" (die "Anschauung" ist das absolute Fundament aller Bildung).

Pestalozzi hat die von der "Mutterstube", also von der Familie beeinflusste und geprägte Elementarerziehung festgelegt und den Lehrer der Elementarschule in den Status des Volkserziehers schlechthin gehoben. Stand und Ansehen des Volksschullehrers haben in Pestalozzi ihren Begründer.

In einem weiten Bogen spannen sich pädagogische Initiativen, die in Ideen und Entwürfen des großen Schweizers begründet sind. Die von seinem Institut in Yverdon (Iferten) am Neuenburger See, das als Landerziehungsheim mit familiären Strukturen aufgebaut war, ausgehende und bis zu den unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Pestalozzi-Kinderdörfer reichende Entwicklung legt dafür ein deutliches Zeugnis ab.

Vor 175 Jahren, am 17. Februar 1827, ist Johann Heinrich Pestalozzi gestorben. Als Mensch, Bürger und Christ wurde dieser Erzieher der Menschheit gewürdigt. "Alles für andere, für sich nichts" steht auf seinem Grabstein.

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