An der Schwelle zu etwas ganz Neuem

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Berge von gefallenem Laub auf dem Weg, die kahlen Äste der eben noch dichten Baumkronen, ein strahlend blauer Himmel und ein Gedanke an die Schönheit des Endes. Es geht alles zu Ende im Herbst.

Ich lese eine Erzählung von Josef Winkler, "Natura morta", die Geschichte vom Tod eines Jungen. Und mir kommt wieder der nicht zu vergessende Giuseppe Ungaretti in den Sinn, der Gedichtband "Il dolore", oder Marie Luise Kaschnitz und ihre Gedichte in "Dein Schweigen meine Stimme".

In all dem ist vom Tod die Rede. Von einem Ende, das endgültig ist, ja endgültig. Doch da die Worte nach dem Tod geschrieben sind, zeigen sie etwas danach. Keine Verlängerung des Lebens, kein: "Es geht doch irgendwie weiter." Nein, es geht nicht weiter. Es ist aus. Doch wird dem Geliebten auch noch im Ende die Treue gehalten. Eine Treue, die schmerzt. Doch sie führt durch den Schmerz in etwas hinein. Eine Welt hinter dem Spiegel. Die Liebe zum verlorenen Antlitz hat ganz weggelockt von der liebevollen Vertiefung ins eigene. Und hat an die Schwelle zu etwas Anderem, ganz Neuem geführt.

Die Kunst vermag das. Die treue Verbündete des Glaubens. Der dem Geliebten die Treue hält in den Tod hinein. Der sich nicht mit billigem Trost zufrieden gibt. Der sich staunend die Auferstehung schenken lässt, reines Geschenk, das ohne sein Ausharren im Ausweglosen nicht gewährt worden wäre.

Wir machen es uns in der Kunst und im Glauben vielfach zu leicht. Ich muss mich aus dem Vorläufigen ins Endgültige wagen. Muss frei werden von der kleinen Sorge um mich, der fortwährenden Verlängerung des Vorläufigen. Um dort etwas zu empfangen, wo für mich alles zu Ende ist. Um auf die andere Seite des Spiegels zu gelangen.

* Der Autor ist Kunsthistoriker und Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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