Anpassung an die Realität

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Die alte Tante Presse ist nicht nur frisch geliftet, sie hat neuerdings auch ein bisschen Rouge aufgelegt. Wer hätte gedacht, dass sie einmal der Opernball-Demo heiße Tränen nachweinen würde? Überhaupt der linken Protestkultur. Und der neue Chefredakteur, der dabei freilich den Schul-Schwenk der övp im Sinn hat, verkündet: "Wer seine Werte der Realität anpasst, ist klüger als der, der versucht, die Realität seinen Werten anzupassen." Genau diesen Versuch hat man früher Politik genannt. Heute ist Management gefragt, Gesinnung jeder Art gilt als unfein.

Dass der Konservativismus tot ist, in der Publizistik wie in der Politik, dass so genannte konservative Regierungen sich dabei unter der Devise "speed kills" als Totengräber profilieren, mag jene merkwürdige Ermattung der Opposition bewirkt haben. Opposition heißt ja nicht, da und dort herumzukritteln und in regelmäßigen Intervallen routiniert "Skandal!" zu rufen, es heißt ein Weltbild haben, das als Gegenmodell zum bestehenden taugt. Was aber, wenn auch die "alternativen" Bewegungen" längst die Prinzipien des Neoliberalismus verinnerlicht haben? So wird man von den Grünen eine fundamentale Kritik der eu- Liberalisierungsdoktrin oder der österreichischen Verkehrspolitik vergeblich erwarten. Und Grundsätzliches zur Sozialpolitik hört man allein von der Caritas. Das Credo der Chefin der Wiener Grünen lautet dagegen: "Wir stehen für gut leben, sicher leben, leben und leben lassen." Ein schönes Beispiel für die Anpassung der Werte an die Realität - an die einer parteiübergreifenden Toskana-Fraktion. Die Regierenden, die man vor fünf Jahren dämonisiert hat und nun leben lässt, wird das freuen. So lässt sich die Unterwerfung unter den (wirtschaftlichen) Sachzwang weiter als Reformfreude verkaufen: Anpassung statt Gestaltung. Bis eine echte Opposition entsteht.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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