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Wird Haiknorpel zum Wundermittel gegen Krebs?

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Zaghaft nur rollen die Pazifikwellen gegen den Strand von Puntarenas, denn das offene Meer liegt ein Stück entfernt. Das verträumte costarikanische Fischerdorf liegt geschützt in der Bucht von Ni-coya. Auf den ersten Blick erscheint es wie ein gewöhnliches Fischerdorf, doch seit einiger Zeit werden hier jährlich 110.000 Haie aus dem Meer geholt - wahrscheinlich mehr als an jedem anderen Ort der Welt. Denn der Bedarf nach dem Knorpel der Tiere, vor allem aus den Köpfen, ist sowohl in Latein- als auch in Nordamerika enorm, seit es neuerdings heißt, damit ließe sich Krebs kurieren.

Schon auf dem Fangschiff der Cor-poracion Procesadore Cartilago (Knorpel-Verarbeitungs-Genossenschaft), die das Geschäft mit den Haiknorpeln betreibt, werden die Fische geköpft, damit der wertvollste Teil an Land sofort verarbeitet werden kann. Die Knorpel werden getrocknet, gemahlen oder pulverisiert und dann mit Gelatine umhüllt, sodaß sie als geschmacksfreie Pillen angeboten wer-

den können. Jeden Monat verlassen 10.000 Glasfläschchen mit jeweils 60 Pillen ä 300 Milligramm die ungewöhnliche Hai-Fabrik. Umgerechnet 85 Schilling kosten die Fläschchen, die am gesamten amerikanischen Kontinent in Apotheken und Drogerien erhältlich sind.

Tausende Krebskranke kaufen die Hai-Pillen. Jene verhindern angeblich, daß Krebszellen mit frischem Blut versorgt werden. Demnach sollen die kranken Zellen absterben, statt sich weiter im Körper auszubreiten.

Als oberster Knorpel-Guru gilt seit Jahren der amerikanische Biochemiker und Ernährungswissenschaftler William Lane, Er verweist auf von ihm durchgeführte Tests, um die krebsheilende Wirkung der Haiknorpel zu belegen: Am Institut Jules Bor-det in Brüssel fütterte er an Hautkrebs erkrankte Mäuse mit Hai-Knorpel -

die Krebstumore sollen daraufhin um 40 Prozent zurückgegangen sein. Da amerikanische Institute zunächst wenig Interesse zeigten, fand der nächste Test in Mexiko statt. Dort wurden acht todgeweihte Krebskranke täglich mit Hai-Knorpel behandelt - bei sieben sollen die Geschwüre verschwunden oder mindestens auf 70 Prozent ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft sein. Die nächsten klinischen Versuche unternahm Lane 1992 in Kuba. Er behandelte dort 29 todkranke Krebspatienten. Heute, rurid vier Jahre später, behauptet Lane: „14 der Patienten sind krebsfrei, neun sind an Krebs gestorben, sechs starben aus anderen Ursachen."

Carl Luer, auf Haie spezialisierter Wissenschaftler am Mote Marine La-boratory in Sarasota (Florida) steht dem skeptisch gegenüber. „Es stimmt schon", sagt er, „daß Haie nie an Krebs erkranken. Aber das hat möglicherweise nichts mit ihrem Knorpel zu tun. Denn wir können uns nicht vorstellen, daß eine krebsverhindernde oder -bekämpfende Substanz aus

dem Knorpel in andere Körperteile gelangt". Robert Langer vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) urteilt: „Es gibt keinen wirklichen Beweis, daß Haiknorpel-Extrakt gegen Krebs hilft."

Immerhin haben sich inzwischen, so berichtet das amerikanische Magazin „Discover", US-Institute zu klinischen Versuchen mit Haiknorpel entschlossen. Am St. Barnabas Medical Center in Livingstone (New Jersey) werden an Brust- und Prostatakrebs Erkrankte mit dem Knorpel-F,xtrakt behandelt, eine Zwei-Jahres-Studie ist zudem am Williams Beaumont Hospital in Royal Oak (Michigan) im Gange. Dort meint der Urologe Jose Gonzales: „Ich experimentiere mit Genehmigung der zuständigen US-

Bundesbehörden. Entweder bin ich in den kommenden Monaten ein Held -oder ein Versager." Und Stuart Leitner vom Barnabas Center sagt: „Statt einfach zu sagen, Haiknorpel ist nutzlos, müssen wir dem Extrakt eine Chance geben."

Inzwischen melden sich Umwelt-und Naturschützer verstärkt zu Wort. Sie fürchten die Ausrottung der Haie. „Mehrere Hai-Arten werden erst im Alter von 30 Jahren geschlechtsfähig, und viele von den Weibchen gebären nur ein Junges alle zwei Jahre", sagt der Meeresbiologe Samuel Gruber von der University of Miami, „aber die Häscher jagen und fangen auf Teufel komm raus - und eines Tages gibt es keine Haie mehr".

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