Aufstieg und Fall eines Provinzkaspars

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Lucien Chardon trägt wie so viele Helden aus dem Roman-Kosmos des Honoré de Balzac das Zeug zum Aufstieg in sich. Er ist begabt, ist von einnehmendem Auftreten, versteht es zu blenden, könnte ein Mann von Welt werden, wenn er nur die Chance dazu bekäme. Sein Makel besteht darin, dass er aus der Provinz stammt und damit in Paris über keine guten Karten verfügt. Immerhin schafft er es, wenn schon nicht als Dichter, dann als Journalist zu Ansehen und Einkommen zu gelangen. Dass das auf Dauer nicht gut geht, ahnt jeder, der sich schon einmal mit Balzac beschäftigt hat. Denn der kennt keine Lebensläufe, die geradlinig von unten nach oben führen. Wer ein paar Sprossen der Aufstiegsleiter erklommen hat, ist schon absturzgefährdet. Und er führt gute Gründe dafür an.

Chardon bleibt der Provinzkaspar, da helfen ihm weder Charme noch Talent. Balzac (1799-1850), der in unfassbarem Tempo Roman um Roman, Erzählung um Erzählung vorgelegt hat, um sie seinem gewaltigen Gesellschaftspanorama "Die menschliche Komödie" einzufügen, hat Aufstieg und Niedergang von Personen zum eigentlichen Thema seines Lebenswerks erkoren. Der junge Lucien Chardon ist fahrlässig. Er glaubt tatsächlich an den schnellen Erfolg. Dabei kapiert er die Spielregeln nicht. Und die, subkutan in jeder Gesellschaft wirkend, definieren, wer dazu gehört und wer rausfliegt. Es bedarf eines anschmiegsamen Charakters, um im beständigen Wandel der sozialen und politischen Verhältnisse nicht den Überblick zu verlieren und zu wissen, was gerade nottut.

Elegante Neuübersetzung

Die Zeiten verändern sich zu Zeiten des Balzac tatsächlich auf dramatische Weise. Der Kapitalismus ist drauf und dran zu beweisen, dass er Recht hat und unterwirft alle seinem Programm, das für Fortschritt und Zukunft steht. Der marxistische Theoretiker Georg Lukács erkannte den Roman dann auch als "tragikomische Epopöe von der Kapitalisierung des Geistes. Das Zur-Ware-Werden der Literatur ... ist das Thema dieses Romans." Mehr an Aktualität ist heute kaum zu haben.

Lange galt die Übersetzung von Otto Flake, schon beinahe hundert Jahre alt, als gültig. Jetzt hat sich Melanie Walz an eine Neuübertragung gewagt, und die ist schlanker, weniger altertümelnd, eleganter und manchmal überraschend und genau. Zum Vergleich der Anfang des dritten Teils: "Am nächsten Tag ließ Lucien seinen Pass visieren, kaufte einen Knotenstock und fuhr für zehn Sous mit dem Omnibus nach Lonjumeau"(Flake)."Am nächsten Tag ließ Lucien sich ein Visum in den Pass eintragen, kaufte einen Spazierstock aus Ilex und bestieg in der Rue de l´Enfer einen öffentlichen Rattelkasten, der ihn für zehn Sous bis nach Longjumau mitnahm"(Walz)

Verlorene Illusionen

Roman aus der Provinz

Von Honoré Balzac, herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Melanie Walz, Hanser 2014. 960 Seiten, gebunden, € 41,10

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