Barbarisch-freundliche Todesengel

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Etwa 200.000 Patienten, darunter 5000 Kinder, wurden zwischen 1939 und 1945 in deutschen "Heil- und Pflegeanstalten" systematisch ermordet. Erfolgte die "Ausmerzung lebensunwerten Lebens" zunächst zentral in einer Villa in der Berliner Tiergartenstraße 4 (Aktion "T4"), so stoppte Hitler diese Aktion nach Protesten der Bevölkerung und der Kirche. Der Massenmord endete damit aber nicht, sondern wurde nun den einzelnen "Pflegeanstalten" übertragen, in denen Ärzte und Pfleger dafür sorgen sollten, dass die Patienten möglichst unverdächtig und unauffällig starben.

Im Gegensatz zum Holocaust wurde dieser Aspekt des nationalsozialistischen Rassenwahns abgesehen von Angelika Schusters und Tristan Sindelgrubers Dokumentarfilm "Spiegelgrund" filmisch bislang kaum thematisiert. Kai Wessel lässt in "Nebel im August" nun den Zuschauer nach dem 2008 erschienenen Tatsachenroman von Robert Domes mit den Augen des 13-jährigen Erwin Lossa auf diese Barbarei blicken.

Mit den Augen eines 13-Jährigen

Während Domes Lossas ganzes kurzes Leben nachzeichnet, setzt die Verfilmung erst 1942 mit der Einlieferung des Jugendlichen in eine süddeutsche "Heil- und Pflegeanstalt" ein. Hierher wird der kerngesunde Junge nach mehreren Heimaufenthalten wegen seines rebellischen Verhaltens und seiner jenischen Abstammung verlegt. Glaubt er, es zunächst damit ganz gut getroffen zu haben, bekommt er zunehmend tieferen Einblick in die verbrecherischen Vorgänge.

Sehr zurückhaltend erzählt Wessel, konzentriert sich ganz aufs Heim, das der Film nur für zwei kurze Szenen verlässt. Sorgfältig arbeitet der deutsche Regisseur unterschiedliche Aspekte heraus, stellt einer Krankenschwester, die den Kindern mit einem Lächeln den tödlichen Himbeersaft verabreicht, eine Nonne (Fritzi Haberland) gegenüber, die Widerstand zu leisten beginnt, aber bei der Amtskirche keine Unterstützung findet.

Gegenpart zum von Ivo Pietzcker eindrücklich gespielten Ernst ist aber vor allem der Arzt Dr. Veithausen (Sebastian Koch). Freundlich und hilfsbereit gibt er sich den Kindern gegenüber, doch hinter der Fassade verbirgt sich ein von der Wissenschaftlichkeit der Rassenideologie überzeugter Nazi, der den Tod als Erlösung propagiert und auch eine perfide Methode zur Tötung seiner Patienten entwickelt. Das Bemühen schulbuchmäßig Einblick in das System zu bieten, beeinträchtigt zwar die erzählerische Kraft, doch ein bewegender und in der Aufarbeitung eines lange verdrängten Aspekts der NS-Barbarei wichtiger Film ist dies dennoch.

Nebel im August

D/A 2015. Regie: Kai Wessel. Mit Sebastian Koch, Fritzi Haberland, David Bennent. Filmladen. 126 Min.

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