Beharren auf der Sinnlosigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Mein Ostergedicht stammt von Ernst Jandl. Ich habe es in dem Band "Letzte Gedichte“ gefunden, erschienen ein Jahr nach dem Tod Jandls bei Luchterhand, 2001:

als katholischer christ / beharre ich auf der / sinnlosigkeit des / menschlichen lebens

Was hat das mit Ostern zu tun? Wie kann ein Katholik behaupten, das Leben sei sinnlos? Aber das Gedicht behauptet ja nicht. Es beharrt auf etwas. Es beharrt darauf, in diesem Leben einen bestimmten Ort einzunehmen. Es mutet mir zu, an diesem Ort auszuharren, zu verharren. Mich also nicht zufriedenzugeben mit den gängigen Sinnangeboten. Was hat es nicht alles an Sinn gegeben, der von totalitären Systemen aufgezwungen wurde! Was wird nicht alles an Sinn in einer Konsumgesellschaft angeboten! Was fertigt sich nicht jede und jeder an privatem Sinn an! All dem gegenüber beharrt das Gedicht auf der Sinnlosigkeit. Es macht keine metaphysische Aussage, bietet keine letzte Wahrheit. Es sagt: Ich will angesichts der Vorgänge in mir und um mich herum, des stummen Kreisens der Gestirne und des stummen Wachstums der Zellen meines Körpers, das nur allzu leicht ungeordnetes Wuchern sein kann, angesichts der toten Kinder in einem verunglückten Bus, der Leichen nach einem Attentat, der Hungernden und Verhungernden, der Prasser und Vergeuder, ich will angesichts dessen nicht an einem Sinn festhalten. Ich beharre auf der Sinnlosigkeit.

Das sagt das Gedicht. Eines sagt es nicht: Ich kann diese Welt in all der Sinnlosigkeit menschlichen Lebens lieben. Ich brauche keinen Sinn, um zu lieben. Meine Liebe schafft eine andere, eine neue Welt. Sie lässt mich die andere Seite menschlichen Lebens entdecken, die Welt hinter dem Spiegel. Die Frage nach dem Sinn stellt sich in ihr nicht mehr. Weil die Liebe alles erreicht, alles erfüllt. Vom Nahen drängt sie ins Weite, vom Vertrauten ins Fremde. Gott ist die Liebe, heißt es. Gott ist nicht der Sinn der Welt, er ist die Liebe zur Welt in all ihrer Sinnlosigkeit. In dieser Liebe ersteht die Welt zu neuem Leben. Ohne Frage nach Sinn. Darauf beharre ich als katholischer Christ.

Der Autor ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung