Benoite Groult läßt grüßen

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Angeles Mastretta enttäuscht hochgespannte Erwartungen.

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Angeles Mastretta enttäuscht hochgespannte Erwartungen.

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Eine junge Mexikanerin wächst als geliebtes und wohlbehütetes Kind zu Beginn dieses Jahrhunderts in einer Kleinstadt auf. Der Vater ist ein anerkannter Heiler und Arzneienexperte, die Mutter eine stolze, kluge Frau, ihrem Mann in inniger Liebe verbunden. Emilia, ebenfalls mit heilerischen Fähigkeiten gesegnet und bald eifrige Schülerin ihres Vaters, verliebt sich ausgerechnet in ihren besten Jugendfreund, der sich vom politisch engagierten Juristen zum kämpferischen Guerilla-Revolutionär entwickelt. Viele Jahre können die beiden ekstatisch Liebenden ihre Beziehung nur getarnt und in flüchtigen Begegnungen aufrechterhalten, was die junge Frau zunehmend ermüdet. Schließlich begnügt sie sich doch mit der Ehe mit einem Arztkollegen, mit dem sie ein Provinzspital aufbaut, und bei dem sie fast zur Ruhe kommt. Wären da nicht bis ins hohe Alter die sporadischen Begegnungen mit dem Revolutionär, der zum gefragten internationalen Journalisten geworden ist.

Die Geschichte der 1949 geborenen, mit dem angesehensten lateinamerikanischen Literaturpreis, dem Romulo-Gallegos-Preis, ausgezeichneten mexikanischen Autorin erinnert in der Konstruktion an Benoite Groults unvergeßlichen - und einfühlsam verfilmten - Roman "Salz auf unserer Haut", kommt aber in der Ausführung nicht annähernd an ihn heran. So versteht es die Angeles Mastretta zwar, die mexikanische Geschichte "von unten" dramatisch zu schildern, die Hauptfiguren wirken aber viel zu modern, um am Beginn dieses Jahrhunderts gelebt haben zu können. Und auch die Bekundung der Autorin, sie sei "davon besessen" gewesen, "das Leben einer Frau zu erzählen, auf der die Gewißheit lastet, daß sie zwei Männer mit der gleichen Intensität liebt", wird überhaupt nicht eingelöst. Die einzigartige sinnliche Liebe findet zwar, in allen Facetten geschildert, zwischen Emilia und ihrem Revolutionär statt, die Beziehung zum Ehemann aber wird gar nicht lebendig und niemals auch nur annähernd gleichwertig behandelt.

Mit faszinierender Intensität erfährt man immerhin von den fast undurchschaubaren politischen Wirren in Mexiko, und man erlebt die Entwicklung Emilias von der "Heilerin" zur westlich ausgebildeten Ärztin, die altes Wissen mit modernsten Methoden verbindet, doch wegen der Armut der Menschen und fehlenden Medikamenten die Grenzen ihrer Möglichkeiten erkennen muß. Lebendig wird auch der Familien- und Freundeskreis, der um sie einen emotionalen und ökonomischen Schutzwall bildet, so daß man dem Roman einen gewissen Reiz nicht absprechen kann. Viel zu stark bleibt aber die Erzählkonstruktion spürbar, sie verschwindet nie ganz hinter den handelnden Personen und auch das abrupte Ende kann nicht befriedigen.

Emilia Roman von Angeles Mastretta, Aus dem Spanischen von Petra Strien, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1998, 412 Seiten, geb., öS 364,

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