Brücke zwischen Kunst und Mensch

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„Tropicália“ in der Wiener Kunsthalle: Die Ausstellung versammelt unterschiedliche Arbeiten brasilianischer Kunstschaffender, die in den späten sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die künstlerische Revolution in ihrem Land anpeilten.

Längst beschränkt sich die Reisezeit zwecks Erholung in den sonnigen Süden nicht mehr auf die großen Schulferien während der Hochsommermonate Juli und August, vielfach flüchten Mitteleuropäer vor der hiesigen Winterkälte in wärmere Gefilde. Den umgekehrten Weg legte die Ausstellung „Tropicália“ in der Kunsthalle Wien zurück, die von den überhitzten brasilianischen Sandstränden in den Endejännerfrost der nördlichen Hemisphäre reiste. So spürt man die interkulturelle Herausforderung bereits, wenn man mit Winterstiefeln durch eine Installation mit aufgeschüttetem Sandboden stapft.

Die Schau versammelt Arbeiten unterschiedlicher Kunstschaffender aus Brasilien, die in den späten sechziger Jahren unter dem Titel „Tropicália“ die künstlerische Revolution anpeilten, wobei sie ernsthaft mit gesellschaftspolitischen Auswirkungen in der damals herrschenden Militärdiktatur liebäugelten. Gerahmt wird die Präsentation mit der bereits von den Kunstschaffenden selbst vollzogenen Bezugnahme auf das „Anthropophagische Manifest“ von Oswald de Andrade aus dem Jahr 1928.

„Was wir machten, war Karneval“

Bereits damals ging es Andrade darum, sich von der kulturellen Überformung der europäischen Einflüsse zu emanzipieren, ohne jedoch deshalb einer folkloristischen Niedlichkeit auf den Leim zu gehen, wenn er schreibt: „Wir sind nie katechisiert worden. Was wir machten, war Karneval. Der Indio in den Kleidern eines Senators des Kaiserreiches. Wir hatten bereits den Kommunismus. Wir hatten bereits die surrealistische Sprache. Das goldene Zeitalter. Anthropophagie. Absorption des geheiligten Feindes.“ Das Manifest setzte bei der Geschichte der Tupinambá-Indianer an, von denen erzählt wird, dass sie ihre Feinde rituell kannibalisierten, um sich deren spirituellen und körperlichen Kräfte auf diese Art nicht nur anzueignen, sondern buchstäblich einzuverleiben, und bricht damit gleichzeitig die eucharistische Geste aus dem Christentum auf eine brasilianische Bodenständigkeit herunter. Den Künstlern der Tropicália ging es vor allem darum, aus den vorherrschenden künstlerischen Elitedebatten auszubrechen und damit einen Brückenschlag zwischen ihrer Kunst und dem Leben der Menschen herzustellen.

So ließ Hélio Oiticica, einer der führenden Kräfte der „Bewegung“, seine nunmehr als anämische Abstraktion empfundene geometrische Formensprache hinter sich, trat in die Sambaschule der Favela von Mangueira ein und befreundete sich mit dem legendären Gangster Cara de Cavalo. Als dieser von den Todesschwadronen der Regierung getötet wurde, setzte Oiticica das wie in einer Tanzchoreographie gewundene Bild von dessen Leiche auf ein Plakat mit der Untertitel „Sei ein Ausgegrenzter, sei ein Held“.

„Sei ein Ausgegrenzter, sei ein Held“

In seiner, mit der Ausstellung gleichnamigen Installation, lässt er die Besucher – nunmehr als Ausgegrenzte – aus einer Favela-Perspektive durch das tropische Paradies wandern, das mit mondrianesken Hütten verbarrikadiert ist, wobei eine davon in ihrem labyrinthartigen Inneren doch einen Fernseher mit ganz woanders produziertem Programm beherbergt.

Die Schau erinnert aber auch an eine der prominentesten Protagonistinnen brasilianischer Kunst, an Lygia Clark, die zuletzt mit ihren Kleinskulpturen aus mit unterschiedlichen Materialien gefüllten Säckchen ihre Beteiligungsästhetik zu einer Kunsttherapie ausbaute. Während Cildo Meireles mit dem Aufkleber „Yankee go home!“ manipulierte Coca-Cola-Flaschen ebenso wieder in den Wirtschaftskreislauf eingliedert wie Zero-Dollar-Banknoten, nimmt sich Nelson Leirner mit seinen polemischen Strategien die Mechanismen des Kunstmarktes vor und führt so manches daran ad absurdum. Von den jüngeren Künstlern, die zeigen, dass Tropicália, wenn auch mit veränderten Vorzeichen, weiter existiert, verführt Ernesto Neto mit seiner mit Gewürzen gefüllten Riesennylonskulptur in die olfaktorische Welt, während Rivane Neuenschwander in ihrem Video mit am Aschermittwoch konfettisammelnden Ameisen dem gängigen Neoliberalismus den künstlerischen Spiegel vorhält. Eine günstige Reise nach Brasilien, die sich aber auszahlt.

Tropicália. Die 60s in Brasilien

Kunsthalle Wien Museumsplatz 1

1070 Wien

bis 2. Mai täglich 10–18 Uhr

Do 10–22 Uhr

Katalog: Nürnberg 2010, 80 S., e 19

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