Das kleine grosse Bild

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Keine andere Kamera hat die Fotografie des 20. Jahrhunderts derart geprägt wie die leica. Ein Rückblick in Bildern.

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Keine andere Kamera hat die Fotografie des 20. Jahrhunderts derart geprägt wie die leica. Ein Rückblick in Bildern.

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Einmal", erinnerte sich der berühmte Fotograf Henri Cartier-Bresson, "wurde ich gefragt, was ich über die Leica denke, und ich habe geantwortet, dass sie ein dicker warmer Kuss sein kann, dass sie auch ein Schuss aus einem Revolver sein kann oder die Couch eines Psychoanalytikers." Cartier-Bresson war, wie so viele andere Fotografen, ein leidenschaftlicher Anhänger der Leica. Für ihn wie für viele andere Fotografen seiner Generation war die Leica nicht nur eine Kamera, sondern, wie es Hans-Michael Koetzle ausdrückt, geradezu "ein Glaubensbekenntnis". Zum hundertsten Geburtstag der Kamera hat der Münchner Publizist und Fotokurator Koetzle nun unter dem Titel "Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie" eine opulente und zugleich anspruchsvolle Ausstellung zusammengestellt, die - gewissermaßen durch den Sucher einer einzigen Kamera betrachtet -eine umfassende Fotound Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts entfaltet. Der Auftakt der Schau erfolgte im Haus der Photographie der Deichtorhallen in Hamburg, derzeit wird die Ausstellung in zwei Teilen in Wien (Galerie Westlicht und Ostlicht) gezeigt.

Erfolg durch Werbung

Wenn man den Mythos Leica verstehen will, reicht es nicht, die Geschichte der berühmten Kamera als Abfolge technischer Lösungen oder die Geschichte ihres kommerziellen Erfolges zu rekonstruieren. Näher kommt man der Sache schon, wenn man den enormen Werbeaufwand, mit dem Leica in die Welt gesetzt und jahrzehntelang begleitet wurde, in den Blick nimmt. International bekannte Fotografen wurden jahrzehntlang kostenlos mit den jeweils neuesten Apparaten beschickt, für deren Qualität sie mit ihrem Namen bürgen sollten. Auflagenstarke und üppig bebilderte Firmenzeitschriften (in mehreren Sprachen), Lichtbildvorträge, geschickt orchestrierte Fotowettbewerbe, Kameraaktionen für Amateure, Handbücher, Werbebroschüren und vor allem sehr viele Fotobücher bekannter Leica-Fotografen trugen seit der Zwischenkriegszeit wesentlich zur Popularisierung der Leica bei. Dazu kommt das Glück des günstigen Augenblicks. Die Leica beerbte die schwergewichtigen Plattenkameras. Sie war eine gelungene Synthese zwischen einer technisch ausgereiften Kamera für anspruchsvolle Amateure und einem Apparat für professionelle Fotojournalisten. Ihren Erfolg verdankte sie nicht zuletzt auch dem rasanten Aufstieg des Fotojournalismus seit den 1920er-Jahren.

Die Anfänge der Leica reichen vor den Ersten Weltkrieg zurück. Als der Feinmechaniker Oskar Barnack, der für das Industrieunternehmen Leitz in Wetzlar arbeitete, im Frühjahr 1914 den Prototyp einer Kleinbildkamera fertigstellte, ahnte noch niemand, dass daraus einmal ein Verkaufsschlager und ein geradezu magisches Objekt in der Hand von Fotografen werden würde. Leitz hatte sich zwar seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Bau optischer Geräte, insbesondere von Mikroskopen, spezialisiert, hatte aber keine ruhmreiche Tradition als Kamerahersteller. Der Erste Weltkrieg verhinderte, dass der Prototyp in Produktion ging. Erst 1925 war es so weit: Die Leica (eine Abkürzung aus Leitz und Camera) wurde in Serie hergestellt. Die 3 x 6 x 13 cm große Kleinbildkamera war, verglichen mit herkömmlichen Plattenkameras, ein Leichtgewicht, wenn auch kein ganz billiges. Die erste Leica kostete 290 Reichsmark, das entsprach einem Viertel eines Facharbeiter-Jahreslohns, dafür waren die Negative, 35 mm Kinofilm, weitaus billiger als Glasplattennegative. Von Anfang an musste die Leica sich gegen Konkurrenzprodukte durchsetzen, denn Kleinbildkameras mit Kinofilm-Negativen gab es damals mehrere am Markt.

Vom Geheimtipp zum Massenprodukt

Im ersten Jahr wurden nicht mehr als 900 Apparate verkauft, kein berauschendes Ergebnis. Doch der Werbefeldzug zeigte bald Wirkung: 1926 wurden bereits 1.600,1927 schon 3.200 Stück der Leica verkauft, etwa die Hälfte davon ging ins Ausland. Danach war die Erfolgskurve, trotz Wirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre, nicht mehr aufzuhalten. Bis 1931 wurden 68.000 Apparate verkauft, 1936 waren es 185.000 Stück. In schneller Folge wurden technische Verbesserungen durchgeführt, ab 1932 wurde die Leica II gebaut, ab 1933 die Leica III und ab 1938 die Leica III b.

Anfang der 1930er-Jahre war aus dem Geheimtipp bereits ein begehrter Massenartikel geworden. Vor allem anspruchsvolle Amateure griffen, angespornt durch den erfolgreichen Werbefeldzug des Unternehmens, zur Leica. Aber auch Fotojournalisten entdeckten nun die Vorzüge der Kleinbildkamera, auch wenn das Gros der Pressefotografen nach wie vor Vorbehalte gegenüber kleinen Apparaten hatte. Während Fotojournalisten in den USA und in England nach wie vor größerformatige Kameramodelle bevorzugten, insbesondere die von Graflex in Rochester produzierte Speed Graphic, waren die innovativen Lichtbildner in Europa offener. Fotojournalisten wie Tim Gidal, Felix H. Man, Wolfgang Weber, Walter Bosshard, Lothar Rübelt oder Otto Umbehr (Umbo), aber auch zahlreiche Fotografinnen wie Ilse Bing, Gerda Taro, Gisèle Freund, Elisabeth Hase, Lotte Jacobi und viele andere griffen zur Leica. Auch im Ausland war die Leica begehrt, der Russe Alexander Rodtschenko fotografierte ebenso mit ihr wie André Kertész oder Henri Cartier-Bresson.

Auch wenn es um 1930 durchaus auch andere gute Klein-und Mittelformatkameras gab, etwa die Rolleiflex (ab 1929) oder die Contax (ab 1932), konnte die Leica den Ruf kultivieren, dass sie für die neue, avantgardistische Ästhetik in der Fotografie um 1930 verantwortlich zeichnete: schnelle Bildfolgen, atemberaubende Blickwinkel und Ausschnitte, unkonventionelle Schnappschüsse. Aber natürlich war nicht der Apparat dafür verantwortlich, sondern die Fotografen, die mit anderen kleinformatigen Kameras ähnliche Resultate erzielt hätten.

Der Machtantritt der Nationalsozialisten beeinträchtigte das Erfolgskonzept des Konzerns keineswegs, im Gegenteil. Die Leica verkörperte in den Augen des Regimes die Modernität der deutschen Kameraindustrie. Dieses förderte den Absatz des Fotoapparates nach Kräften. Ab 1937 schrieb ein Erlass des "Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda" Fotojournalisten (die nun "Bildberichter" heißen) die Verwendung der Leica zur Dokumentation bei Staats-und Parteiveranstaltungen vor. Praktisch alle Kriegsfotografen der deutschen Wehrmacht wurden ab 1939 auf die Leica eingeschworen. Umgekehrt revanchierte sich das Unternehmen, indem es in seinen Publikation und Fotobüchern die Nähe zum Regime suchte. Parteinahe Fotografen, etwa Paul Wolff, wurden als Fotobuchautoren besonders hofiert.

Die Leica wird normal

Bereits am 5. Mai 1945 nahm Leitz die Produktion der Leica wieder auf. In den firmeneigenen Zeitschriften, die wieder ab 1949 erschienen, wurde die dunkle Vergangenheit der Geschichte und des eigenen Unternehmens dezidiert ausgeblendet. Man setzte vielmehr auf unpolitische, zukunftsfrohe Inszenierungen oder auf die reine Kraft der Ästhetik. Die bewährte Werbestrategie, mittels auflagenstarker Publikationen und der gezielten Indienstnahme berühmter Fotografen, die jeweils die neuesten Modelle bekamen, wurde fortgeführt. Auch wenn fast die gesamte Magnum-Riege, von Robert Capa über Cartier-Bresson bis hin zu Inge Morath mit der Leica arbeitete und auch wenn herausragende Nachkriegsfotografen von William Klein über Robert Frank bis Garry Winogrand und René Burri diese Kamera liebten, verlor die Leica in der Nachkriegszeit Stück für Stück ihre Exklusivität. Ihr enormer Erfolg - bis 1956 waren insgesamt 850.000 Leicas verkauft worden - hatte dem legendären Apparat den Nimbus des Besonderen genommen. Die Leica war nun normal geworden. Amateure ebenso wie Profis arbeiteten mit ihr, sie war zum etablierten Handwerkszeug geworden. Einzig in der Modefotografie gab es lange Widerstände gegen die kleinformatige Leica, aber auch hier gab es zahlreiche Ausnahmen, etwa Irving Penn, Christer Strömholm oder F.C. Gundlach, die alle mit der Leica arbeiteten.

In der ersten Nachkriegszeit dominierte die deutsche Kameraindustrie den Markt für Kleinbildkameras immer noch. 1954 kam die Leica M3, eine komplette technische Neuentwicklung, auf den Markt, von der bis 1956 70.000 Stück verkauft wurden. 1958 folgte die M2, eine Kamera für Fotojournalisten. Nach und nach aber wurden auch in Japan konkurrenzfähige Apparate gebaut, etwa Nikon F, die der M2 einen harten Wettbewerb lieferte und die zudem billiger war. Als Leica 1997 die erste digitale Leica auf den Markt brachte, war das Zeitalter der legendären analogen Kamera praktisch zu Ende. Im Jahr 2000, an der Wende zum 21. Jahrhundert, schickte der Leica-Konzern noch einmal die erfolgreiche Kamera aus dem Jahr 1925 in die Welt: als funktionstüchtigen Nachbau in begrenzter Auflage. Das Erscheinen dieses Vintage-Apparates der auch für Sammler und Nostalgiker gedacht war, unterstrich, dass nun eine Ära endgültig zu Ende gegangen war.

Der Autor ist Fotohistoriker, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte".

Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie. Teil 1: Die Klassiker, Westlicht - Schauplatz für Fotografie, Westbahnstraße 40, 1070 Wien (bis 13. Feb. 2016); Teil 2: Ostlicht - Galerie für Fotografie, Absberggasse 27, 1100 Wien (bis 21. Feb. 2016)

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