Das Monster Sozialbürokratie

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Ken Loach, 80-jähriger Meister filmischer Sozialdramen, hat mit "Ich, Daniel Blake" ein weiteres Meisterwerk vorgelegt.

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Ken Loach, 80-jähriger Meister filmischer Sozialdramen, hat mit "Ich, Daniel Blake" ein weiteres Meisterwerk vorgelegt.

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Achtzig Jahre alt ist Ken Loach heuer geworden, und in einem Alter, wo Normalsterbliche längst den Ruhestand genießen, lässt sich der Altmeister des filmischen Sozialdramas erneut bitten - und setzte seinem "letzten" Film "Jimmy's Hall" (2014) nun noch ein Leinwandopus hinzu. Und mit "Ich, Daniel Blake", heimste er - zur Überraschung der Filmkritiker - heuer in Cannes die Goldene Palme ein (übrigens zehn Jahre, nachdem er dieselbe schon für "The Wind That Shakes the Barley" erhalten hatte).

Aber die soziale Tristesse im neoliberalen Britannien hat es Loach erneut angetan, und nach einem Plot seines langjährigen Drehbuchschreibers Paul Laverty gelingt ihm einmal mehr das Tableau sozialpolitischer Abartigkeiten, zu denen das derzeitige gesellschaftliche System nicht nur jenseits des Ärmelkanals verkommen ist. Allerdings sind die Beispiele, die Loach und Laverty auch in "ich, Daniel Blake" erzählen schon besonders ans Herz rührend und lassen viele Opfer zurück - auch diejenigen, die in den an private Firmen ausgelagerten Arbeits- und Gesundheitsagenturen arbeiten, und die einem Daniel Blake helfen wollen, aber von Vorgesetzten, die wieder unter der Knute von Vorgesetzten und Shareholdern stehen, daran gehindert werden.

Daniel Blake ist ein 59-jähriger Bautischler, der bei der Arbeit einen Herzinfarkt erlitten hat und deswegen vom Hausarzt krankgeschrieben wurde. Obwohl die Arbeitsunfähigkeit Blakes offensichtlich ist, findet die Angestellte der Gesundheitsagentur, dass er arbeiten kann. Daher bekommt er keine Sozialleistungen vom Staat. Um dagegen Einspruch zu erheben, muss er einen Online-Antrag ausfüllen - wie soll Blake das aber bewerkstelligen, wenn er zwar der Tischlerei äußerst kundig ist, nicht aber des Formularausfüllens mit einem Computer? Die gibt es zwar an öffentlichen Stellen, aber die Aufsichtspersonen dort dürfen einem Unkundigen nicht weiterhelfen. Kein Computerantrag: kein Einspruch möglich: keine Sozialhilfe oder keine Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit

Ein scheinbar auswegloser Kreislauf

Es ist ein scheinbar auswegloser Kreislauf, in den sich Daniel Blake verstrickt. Blake lernt die alleinerziehende Katie kennen, die mit ihren beiden Kindern von London nach Newcastle hergezogen ist, weil sie sich in der Metropole das Wohnen nicht mehr leisten konnte. Auch Katie kämpft mit dem Bürokratie-Moloch: Weil sie ein paar Minuten zu einem Termin beim "Sozialdienstleister" zu spät kommt, wird ihr die ihr zustehende Sozialhilfe gesperrt. Katie muss schauen, wie sie sich und ihre Kids durchbringt, das Geld reicht nicht einmal mehr fürs Essen - als Frau hat man da nur noch menschenunwürdige Möglichkeiten.

Selten wurde die Menschenverachtung der Sozialbürokratie filmisch so direkt aufs Korn genimmen wie in "Ich, Daniel Blake": Er gerät in ein System, das keine sinnvollen Auswege mehr anbietet; er muss sich weiterbilden, was ihm überhaupt nichts nützt. Um Arbeitslosengeld zu erhalten, muss er nachweisen, dass er sich tagtäglich um einen Job bewirbt, den er aber, weil er ja krank ist, gar nicht annehmen kann, weswegen er wieder ganz unten anfangen muss: ein Hamsterrad - ohne Aussicht, jemals wieder herauszukommen.

Doch Daniel Blake, der vom Stand-Up-Comedian Dave Johns authentisch dargestellt wird, beschließt dann eines Tages, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Und er setzt ein Zeichen - und zwar buchstäblich an die Wand...

Ich, Daniel Blake (I, Daniel Blake)

GB 2016. Regie: Ken Loach. Mit Dave Johns, Hayley Squires. Filmladen. 100 Min.

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