Das Stück zur Krise der Demokratie

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Die 1607 geschriebene Tragödie "Coriolan" erscheint wie das Stück der Stunde. Denn William Shakespeares wohl politischstes Stück hat eine der drängendsten Fragen unserer Gegenwart zum Inhalt: die nach der Regulierung der Macht, dem Zusammenspiel der politischen Instanzen in demokratischen Gesellschaften und die nach der Teilhabe des Volkes an politischen Entscheidungsprozessen. Nun wird die sonst wenig gespielte Tragödie in der Regie von Carolin Pienkos am Akademietheater gezeigt.

Im Zentrum von Shakespeares dritter römischer Tragödie steht der hochmütige Patrizier Caius Martius (Cornelius Obonya). Der erfolgreiche Kriegsheld, der nach der Eroberung der Stadt Corioli den Beinamen Coriolanus erhält, wird von den Patriziern zum Konsul vorgeschlagen. Das geht nicht ohne die Zustimmung des Volkes. Einem alten Brauch folgend soll Coriolan nun öffentlich seine Wunden zeigen und beim Pleps um Stimmen werben. Einerseits aus Verachtung gegen das Volk und mehr noch aus Treue zu sich selbst, verweigert er diese Geste. Selbst nach Aufforderung seiner Mutter Volumnia (Elisabeth Orth) und dem Hinweis, dass List mit Ehre nicht im Widerspruch stehe, weigert er sich, sich wie eine Ware anzupreisen. Der Einzelkämpfer Coriolan ist nicht fähig, sich als Teil eines politischen Spiels zu sehen und aus absoluter Treue zu sich selbst auch unwillig zur Verstellung. Er kann nicht lügen und fordert stattdessen zornig die bedingungslose Anerkennung seiner Größe.

Vom "Feind" zum Verräter

Angestachelt durch zwei demagogische Tribune (Sylvie Rohrer, Hermann Scheidleder) verweigert ihm das Volk diese Anerkennung. Des Verrats angeklagt, verjagt es ihn sogar aus der Stadt, was der monomanische Held nur bitter kommentiert: "Auch anderswo gibt es eine Welt". Aus dem vermeintlichen Volksfeind wird nun ein Verräter. An der Spitze des feindlichen Heers der Volkser kehrt er als Rächer in das nun militärisch führungslose Rom zurück. Als seine Mutter an familiäre Werte appelliert, kollabiert sein Starrsinn, was ihn nun zum tragischen Verräter macht.

Das eminent Politische in diesem Stück ist nicht nur der Umstand, dass Coriolan unfähig ist, Kompromisse für einen politischen Handel einzugehen, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, das Gemeinwohl über den private Autonomieanspruch zu stellen. Sondern auch, wie hellsichtig Shakespeare die Gefahren der Demokratie beleuchtet. Er führt vor, dass der Mehrheitswille nicht unbedingt zum Allgemeinwohl beiträgt und etwas drastischer, was passiert, wenn eine Demokratie zur Tyrannei der Mehrheit wird. Erstaunlich, wie präzise Shakespeare schon vor mehr als 400 Jahren diese Gefahren der Republik erkannt hat.

Es ist dem Burgtheater zu danken, dieses heute so wichtige Stück zu spielen. Lebendigeren Bezug zu einem komplexen Thema der Gegenwart kann Theater kaum haben.

Coriolan

Burgtheater, 24. Sept., 11., 14. Okt.

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