Dasein als bösartige Beliebigkeit

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Ein großes dunkelbraunes Passepartout zeigt einen hellen Hintergrund, den schmalen Raum dazwischen beherrscht eine übergroße Kalla, die ihren Kelch so weit offen hält, dass man an eine fleisch- und menschenfressende Blume denkt. Ein kleiner Abstelltisch, zwei Lehnsessel - das ist die karge, elegante Bühne von Sabine Freude (Kostüme Melanie Schrittwieser) für die deutsche Erstaufführung von Alberto Moravias Roman "Die Gleichgültigen“ von 1926. Die österreichische Regisseurin Nora Hertlein hat diesen Roman dramatisiert und am Schauspielhaus nun selbst inszeniert.

Die Themen dieser als existentialistisch zu etikettierenden Arbeit des italienischen Schriftstellers sind Vereinzelung, Isolierung, Entfremdung, Hass und Egoismus. Hertlein lässt dieses als Kammerspiel aufbereitete Stück aber so spielen, dass immer - auch für die Zuschauer sichtbar - jede Figur jede andere belauert.

Was Moravia vor 85 Jahren schilderte, ist heute wieder im gesellschaftlichen Umgang üblich: Gleichgültigkeit dem anderen gegenüber; eine schier unverständliche Sachlichkeit ersetzt die eigenen Gefühle; und: Geld regiert die Welt, wenn es um Villenbesitz, Schulden und Delogierung geht. Aber alles bleibt unbestimmt, im Vagen, ist nicht so ernstzunehmen, wie es gesagt wird. Diese bösartige Beliebigkeit steuert das Dasein. Jean-Paul Sartre hat das später in dem berühmten Satz zusammengefasst: "Die Hölle, das sind die anderen“ (L’Enfer c’est les autres“). So also auch in den "Gleichgültigen“, in denen die dominante Mutter Mariagrazia ihre erwachsenen Kinder Carla und Michele nicht von der Leine lässt und sie kujoniert, wo es nur geht. Die aber haben sich längst in ihren Kokon der Einsamkeit zurückgezogen.

"Moral der Befreiung“

Ulrike Arp gibt die terrorisierende Mutter Mariagrazia, die ihre Pleite dank überbordenden Lebensstils nicht zugeben will. Ihre Kinder haben sie längst durchschaut: Christiane Warnecke als Carla, die sich schließlich nicht aus Überzeugung oder gar Liebe, sondern eher aus Notwendigkeit dem glatten Ex-Freund der Mutter - Volker Wahl als Leo - zuwendet; und Thomas Pfertner als Michele, der ständig versucht, ehrlich zu sein und den Kontrahenten die Wahrheiten ins Gesicht schreit. Ihn bedrängt ständig die Freundin des Hauses, Daniela Enzi als sexbedürftige Lisa.

Wenn Sartre in den konkreten Beziehungen zum anderen und in der Suche nach authentischer Existenz die Möglichkeit einer "Moral der Befreiung und des Heils“ sieht, dann hat das Moravia in seinem Debütroman längst vorweggenommen.

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