Der Golem in frecher Zeichentrickästhetik

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Wer sich in der Geschichte auskennt, braucht keine Horrorgeschichten. Monster, Vampire und aggressive Wesen, die unvermutet und ohne ersichtlichen Grund auf der Bildfläche erscheinen, werden ihm kindisch vorkommen angesichts dessen, was der Mensch seinesgleichen anzutun bereit ist. Die britische Gruppe 1927, die mit ihrer Version des "Golem"-Stoffes eingeladen wurde, ihr Stück im Rahmen der Salzburger Festspiele als Uraufführung vorzustellen, muss sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit zu rechtfertigen. Es gelingt ihr tatsächlich auf eine außerordentliche Weise, die darauf verzichtet, historischen Schauer von anno dazumal einfach nachzustellen.

Zeitalter des Kommerzes

Wir befinden uns in einer All-Zeit, die die Gegenwart meint und Reste einer dubiosen Vergangenheit ebenso mitträgt wie den Vorschein auf eine ungemütliche Zukunft. Was Suzanne Andrade, die für Regie und den Text verantwortlich zeichnet, daraus macht, ist ein "Golem" für das Zeitalter des Kommerzes, mehr an die düsteren Visionen von Orwell oder Huxley erinnernd als an Gustav Meyrink. Der löste mit seinem Roman noch vor dem Ersten Weltkrieg für jene mythische Gestalt, die aus den Tiefen der jüdischen Tradition stammt, einen enormen Popularitätsschub aus. Das gelang ihm dank einer Trivialisierung, indem er auf den Schockeffekt setzte. Der Golem, eine von Menschenhand geschaffene Figur aus Lehm, wird bei Bedarf zum Leben erweckt. Dann ist er ein willfähriger Befehlsempfänger, gut geeignet, niedrige Dienste zu verrichten. Die Katastrophe stellt sich ein, als er selbst Willen entwickelt und Macht über den Menschen gewinnt.

An der Idee von der Verdrängung des Menschen durch ein Kunstprodukt hat Suzanne Andrade Gefallen gefunden. Sie empfindet das als eine aktuelle Bedrohung und modelt den klassischen Fall kurzerhand um. Selbstbestimmung wird weggeputscht durch einen heiteren Kolonisator des Geistes. Unheimlich wird das Ganze deswegen, weil die Menschen, anstatt in Alarmbereitschaft versetzt zu werden, die feindliche Übernahme ihres Bewusstseins als Fortschritt empfinden. So erfreulich konservativ ist diese Theatergruppe, dass sie den Kampf aufnimmt gegen Überwachung, Kontrolle und Preisgabe des Ichs zugunsten eines Kollektivs, in dem jeder gleich tickt. Damit befinden wir uns tatsächlich im Hier und Jetzt.

Der tierische Ernst ist Andrades Sache nicht. Sie und ihr Team haben dem Theater eine neue, ironisch freche Ästhetik verpasst. Bühnenbild war einmal, hier agieren die Schauspieler vor einem Hintergrund, auf dem ein Animationsfilm abläuft. Die Kulisse einer großstädtischen Umgebung läuft vorbei, und die Darsteller müssen ihre Bewegungen darauf abstimmen. Sie funktionieren wie Präzisionsmaschinchen, gleichsam als Teil einer Zeichentrickwirklichkeit. Dazu Texte voller Witz und sprühendem Geist, es gibt kaum einen Moment zum Durchatmen, so gedrängt folgen die Einfälle aufeinander.

Säkulare Gesellschaft

Der neue Golem ist einer für eine säkulare Gesellschaft. Der frühere stand unter dem Bann der Sprache. Zum Leben kam er erst durch einen Zettel mit einem mystischen Spruch, den man ihm in den Mund schob. Das war einmal. Jetzt funktioniert Golem nach dem binären Prinzip der Computertechnologie. Der Prototyp wirkt noch grobschlächtig nach herkömmlich meyrinkscher Art. Er wird verfeinert, die dritte Version wird direkt ins Gehirn implantiert. Zuständig für die Verfertigung ist ein hochbegabter Einzelgänger, für dessen Erfindungen es lange keinen Bedarf gab. Auch mit der Golem-Produktion geht es vorerst äußerst schleppend voran.

Das ist Theater, das nicht mit bedeutenden Einsichten aufwartet, denn, geben wir es zu, wir werden doch oft mit Binsenweisheiten abgespeist. Aber das ist Theater für den aufgeweckten Zeitgenossen, der den ironischen und anspielungsreichen Umgang mit brisanten Themen mehr schätzt als die doch recht einfache Moral aus der Geschicht'. Die Gruppe 1927 startet eine Unterhaltungsoffensive, um klammheimlich das Denken zu stimulieren. Das macht sie derart charmant, dass man ihr die besserwisserische Attitüde nachsieht.

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