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Wer Musik liebt, liebt auch Zahlen. Der Bruch zwischen Musik und Mathematik vollzog sich erst zu Beginn der Moderne. Zeitgenössische Komponisten suchen wieder verstärkt nach natürlichen Strukturen in der Musik und lassen sich von mathematischen Regeln inspirieren. Das diesjährige „Wien modern“-Festival widmet diesem Zusammenhang zwei Symposien.

Eins, eins, zwei, drei, fünf, acht, dreizehn: Keine durchschnittliche Verschwörungsgeschichte kommt ohne die Fibonacci-Reihe aus. Leonardo von Pisa, der sich als Sohn des Bonacci „Fibonacci“ nannte, war der bedeutendste Mathematiker der italienischen Renaissance. Er entdeckte die schlichte Zahlenreihe, in der jede Zahl die Summe ihrer beiden Vorgängerinnen ist. In Kompositionen von Ligeti, Stockhausen oder Nono sollen die Zahlen der Fibonacci-Reihe ebenso vorkommen wie in Keplers Sphärenmusik, in der pythagoreischen Stimmung, in den Kirchentonarten oder in den chromatischen Tonleitern.

Wenn es um Zahlen geht, kommt stets Pythagoras ins Rechenspiel. Er habe als erster die grundlegende Beziehung zwischen Mathematik und Musik entdeckt, erläutert der Mathematiker Marcus du Sautoy in „Die Musik der Primzahlen“, als er mit einem Hammer gegen eine mit Wasser gefüllte Urne schlug. Entfernte er die Hälfte des Wassers, klang der Ton eine Oktave tiefer. Entfernte er nochmals Wasser, erklangen die erzeugten Töne im Verhältnis zum entfernten Wasser in Harmonie mit dem ursprünglichen Ton. Töne, die mit einer anderen Wassermenge erzeugt wurden, klangen aber dissonant zu diesen Tönen. Es gab eine hörbare Schönheit, und sie stand offenkundig in Beziehung mit Brüchen. Diese Entdeckung ließ Pythagoras glauben, das gesamte Universum sei von Musik bestimmt, und er prägte den Begriff „Sphärenmusik“. Einer anderen Legende nach – von Pythagoras sind keine schriftlichen Zeugnisse erhalten – entdeckte er in einer Schmiede den unterschiedlichen Klang anhand verschieden langer Metallstäbe.

„Die Musik ist eine verborgene arithmetische Übung der Seele, die nicht weiß, dass sie mit Zahlen umgeht“, wird unermüdlich Leibniz zitiert, um den Zusammenhang zwischen Musik und Mathematik zu bekräftigen. Tatsächlich verwenden Musik und Mathematik eine technische Sprache aus Symbolen, mit denen sich erschaffene Strukturen wiederholen lassen. Eine Partitur ist ein mathematisches Koordinatensystem mit einer Zeitachse für den Rhythmus und einer Akkordachse für die Tonhöhen.

Die Intervalle und ihr harmonisches Verhältnis lassen sich in Zahlen ausdrücken. Der Wohlklang einer Oktave oder einer Quinte beruht auf fortschreitenden Zahlenverhältnissen. Die Physik der Musik beruht auf den Grundlagen der Mathematik, schreibt auch Sautoy. Bläst man über die Öffnung einer Flasche, erzeugt man einen Ton. Variiert man den Druck, erzeugt man auch höhere Töne, die Obertöne. Obertöne verleihen jedem Instrument seinen spezifischen Klang. Physikalisch bedeutet der spezifische Klang eines Instrumentes, dass verschiedene Kombinationen aus Obertönen wahrgenommen werden. Der Klang einer schwingenden Geigensaite etwa entspricht der unendlichen Überlagerung aus dem Grundton sowie allen möglichen Obertönen.

Freie Künste und Höhere Schulen

Die Sieben Freien Künste der Antike, die septem artes liberales, waren in den Dreiweg der sprachlichen und den Vierweg der mathematischen Fächer eingeteilt und galten im mittelalterlichen Lehrwesen als Vorbereitung auf die Studienfächer Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Das Trivium bestand aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik, das Quadrivium wurde von Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie gebildet. Bis weit ins 18. Jahrhundert war die Musik eine der Mathematik gleichgestellte Disziplin. Der französische Mönch Marin Mersenne etwa liebte die Zahlen gleich wie die Musik und entwickelte eine zusammenhängende Harmonielehre. Mersenne tauschte im 17. Jahrhundert regelmäßig mathematische Erkenntnisse mit Pierre de Fermat aus. Auch der französische Barockkomponist Jean-Philippe Rameau schrieb 1722: „Trotz aller Erfahrungen, die ich durch den langen Umgang mit Musik erlangt habe, muss ich zugeben, dass mir erst mit Hilfe der Mathematik meine Ideen klar wurden.“

Johannes Kepler (1571–1630) und Leonhard Euler (1707–1783) waren zwei der letzten Naturwissenschafter, die sich mit der Theorie der Musik mathematisch beschäftigten. Kepler suchte in den Planetenbahnen nach musikalischen Zahlenproportionen und Euler versuchte die Musiktheorie „zu einem Teil der Mathematik zu machen“. Doch ihre Abhandlungen wurden von Mathematikern als zu musikalisch und von Musikern als zu mathematisch angesehen. Der Bruch zwischen Musik und Mathematik war vollzogen und hält sich in unserem Schulsystem hartnäckig bis heute. Während auf technischen US-Hochschulen liberal arts als Weiterführung der artes liberales hohen Stellenwert genießen, wird auf den technischen Berufsbildenden Höheren Schulen Österreichs Musik nicht auf den Lehrplan gesetzt. Dabei waren es gerade neue Techniken, vor allem der Computer, die die Beziehung zwischen Musik und Mathematik vorangetrieben haben.

Diesem Wechselspiel widmet heuer Wien modern, das Festival für zeitgenössische Musik, zwei Symposien zu Musik, Mathematik und Architektur, auch als theoretische Erweiterung der Retrospektive zu Iannis Xenakis. Der griechisch-französische Klangpionier war Komponist, Musiktheoretiker und Architekt. „Iannis Xenakis war mathematisch in Hardcore-Bereichen unterwegs“, sagt der künstlerische Leiter Berno Odo Polzer. „Vom Studium her ursprünglich Ingenieur, hat er eigene Theorien entwickelt, wie man musikalische Parameter formalisieren kann.“ Xenakis war mathematisch geschulter Ingenieur und arbeitete als Architekt bei Le Corbusier. Bis zu seinem Tod im Jahr 2001 war die Suche nach einem gemeinsamen Fundament von Kunst und Wissenschaft Xenakis’ künstlerischer Ansatz.

„Musikalische“ Pyramidenarchitektur

Die Schönheit von Zahlen in der Musik wird der rote Faden der Symposiumsbeiträge sein. „Natürlich ist das ein Gebiet, das man nie abdecken kann“, sagt Polzer, „aber es wird in Anklängen sichtbar, wie zentral das Thema Mathematik in der Musik verankert ist. Wir haben zum Beispiel einen Vortragenden eingeladen, der kürzlich eine neue Theorie für die Konstruktion der Pyramiden von Gizeh formuliert hat. Seine These lautet, dass die ganze Architektur eigentlich auf der ägyptischen Musiktheorie basiert.“

Den naturwissenschaftlichen Ansatz von Xenakis erweitert hat sein Schüler Ole-Henrik Moe, der zwei Jahre bei ihm in Paris studiert hat. Xenakis bestärkte den norwegischen Komponisten, seine naturwissenschaftlichen und kompositorischen Interessen zu verbinden. Polzer: „Moe ist außerhalb Norwegens völlig unbekannt. Er hat eine einzigartige Klangwelt erschaffen und eine interessante Methodik entwickelt, akustische Erinnerungen aus verschiedenen Lebensaltern so zu abstrahieren, dass man sie mit Instrumenten beschreiben kann.“

Mathematik kann viel über musikalische Strukturen aussagen. Die fortschreitende Digitalisierung und der Einsatz neuer Computerprogramme haben Mathematik und Musik einander wieder nähergebracht. Der wichtigste Aspekt der Musik aber, warum sie Stimmungen stark beeinflussen kann, hat mit Mathematik nichts zu tun. Denn das Geheimnis des Klangs lässt sich mit keiner Zahlenreihe darstellen.

Wien modern 2009

29. Oktober bis 21. November

www.wienmodern.at

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