Der Letzte räumt den Garten auf

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Mitte Dreißig und schon in Todesangst. Anja Hilling versucht sich in ihrem neuen Stück "der Garten“ an einer Bestandsaufnahme der Generation "Bobo“. Immer noch auf der Suche nach dem richtigen Leben und dem großen Glück fürchten sie, den Zenit bereits überschritten zu haben und nagen an der ersten Midlife-Crisis. Da ist zum Beispiel die Musikredakteurin Antonia (Nicola Kirsch), die endlich frei sein möchte und sich dem abgehalfterten Rockstar Sam Embers (Thiemo Strutzenberger) an den Hals wirft, obwohl sie eigentlich mit Martin (Max Mayer), dessen Doktorarbeit ebenso auf sich warten lässt, wie den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, glücklich werden wollte. Oder Antonias Chefin Henriette (Katja Jung) mit der Titanbrustprothese, die mit Martin rummacht. Redaktionskollege Sven (Steffen Höld) lässt sich radioaktive Erde aus Tschechien schicken, um damit den Teint aufzufrischen, und Edith (Veronika Glatzner), gelernte Lyrikerin und jetzt Friseurin, möchte mit ihrer besten Freundin endlich mal wieder auf ein Bier gehen. Allesamt sind sie gezeichnet von der Angst vorm Älterwerden und einem ausgeprägten Interesse an biologisch hochwertigen Lebensmitteln aus Italien.

Tonnenschwere Sprachschachteln

Der Gegenentwurf zu all den Lebens- und Liebeslügen ist der Garten, in den Antonia und ihr Rockstar kurz vorm gemeinsamen Ableben eintauchen. In mehreren Zeitsprüngen erzählen die beiden und der Freundeskreis um sie herum von den letzten Stunden im vermeintlichen Naturparadies.

Hilling türmt über diese verworrene Liebesgeschichte tonnenschwere Sprachschachteln, gefüllt mit Pathos und Überdruss, auf. "Rebellion oder Anpassung?“ lautet die Frage - oder nach Baudelaire, aus dessen Gedichtband "Die Blumen des Bösen“ Hilling zitiert: "Der Aufruhr macht umsonst mir meine Fenster beben: Er wird mir nicht die Stirn von diesem Pulte heben.“

Regisseurin Felicitas Brucker schaufelt glücklicherweise das Stück in der gelungenen Uraufführung von den schwermütigen Textmassen frei, um genügend Platz für ironische Brechungen zu schaffen, und errichtet auf der Bühne des Schauspielhauses eine Bobo-Kampfzone der Extraklasse. Hinter durchsichtigen Schiebetüren verdichten sich die losen Szenenfolgen zu einem aberwitzigen Sittenbild der Generation 30plus. Vor allem Kirsch überzeugt in ihrer Rolle als energiegeladene und dabei missmutige Antonia, aber auch der Rest des Ensembles legt sich ins Zeug und agiert kraftvoll zu den Popklängen des Bühnenorchesters "Beautiful Boys“.

Zum Schluss beginnt der Garten von allem Besitz zu nehmen und breitet sich farbenprächtig langsam auf die ganze Bühne aus. Im Text können die Pflanzen sprechen, zum Glück bleibt auf der Bühne das ausgestreute Blumenbukett aber stumm und Brucker verwandelt stattdessen die Schauspieler zu Blumenkindern, die den Garten ins finale Chaos stürzen. Nach der Blumenschlacht beginnt die Sinnsuche von vorn. "Wir werden Mensch“, heißt es im letzten Akt; "Wir werden sehen“, lautet die Antwort.

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