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Theater an der Wien verlegt Haydns "Orlando paladino" in ein Irrenhaus.

Joseph Haydn ist heute vor allem als Symphoniker bekannt. Er selbst jedoch verstand sich wohl in erster Linie als Opernkomponist, schließlich wurden seine Opern europaweit aufgeführt. Nikolaus Harnoncourt, ein großer Fan des Opernkomponisten Joseph Haydn, versucht nun am Theater an der Wien dieses Bild zurechtzurücken. Mit "Orlando paladino" dirigiert er Haydns einst erfolgreichstes musiktheatralisches Werk - und siehe da: Mit seinem Orchester, dem Concentus Musicus, fördert Harnoncourt in der glänzenden Produktion eine ungemein originelle, die unterschiedlichsten Gemütszustände und -regungen trefflich ausmalende Musik zu Tage.

Der Einfallsreichtum Haydns wird am augenfälligsten bei der Buffo-Partie des Dieners Pasquale (Markus Schäfer) deutlich. In einer Arie unterhält dieser einen ungemein witzigen Dialog mit dem Orchester, in einem Liebesduett mit einer Schäferin (Juliane Banse) gerät er derart in Ekstase, dass er nur noch die Vokale a, e, i, o und u herausbringt. Das ist nicht nur musikalischer, sondern auch politischer Witz: A.E.I.O.U. war ja der Wahlspruch der Habsburger, während Haydn in Diensten der ungarischen Magnatenfamilie Esterházy stand. Trotz allem wird bei der Aufführung auch klar, warum Haydn-Opern heute kaum noch aufgeführt werden: Seine Klangsprache weist ihn zwar als Zeitgenossen Mozarts aus, formal sind Haydns Musiktheaterwerke aber noch sehr stark den Schemata der Barockoper, der Abfolge von Da-capo-Arie und Rezitativ, verpflichtet. Damit sitzt er zwischen zwei Stühlen.

Das Libretto zu "Orlando paladino" fußt auf einer Episode aus dem phantastischen Epos "Orlando furioso" des Renaissancedichters Ludovico Ariosto: Orlando (der famose Kurt Streit) ist aus Liebe zu Angelica (Eva Mei) wahnsinnig geworden. In rasendem Zorn verfolgt er die Angebetete, bis ihm die Zauberin Alcina (Elisabeth von Magnus) Lethewasser aus dem Fluss des Vergessens einflößt.

Keith Warner macht aus der Rittergeschichte einen Psychotrip. Der Regisseur hat die Story des Rasenden Roland in ein Irrenhaus verlegt, in dem die Psychoanalytikerin Alcina die Fäden zieht. Orlando wird mit Elektroschocks behandelt, Angelica auf der Couch therapiert. Die halluzinierenden Insassen bewegen sich in einer psychedelischen Welt schwindlig machender Jahrmarktsattraktionen, wobei der Wiener Prater als Vorbild dient. So wird das Theater an der Wien zum Ringelspiel und zum Spiegelkabinett; Geisterbahnfiguren tanzen durch die kollektive Wahnvorstellung, der unheimliche Fährmann Charon (Marcus Butter) gleitet in seinem Kahn auf einer Achterbahn herab. Die Sixties lassen grüßen.

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