Der "Schwarze Freitag" der Frauenbewegung

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450 Frauen wollten am 18. November 1910 in das Londoner Parlament eindringen. Aus der Demonstration für das Wahlrecht wurde ein Kampf mit der Polizei.

London 1910. Die Rollen sind klar verteilt. Die Frau kümmert sich um Familie und Haushalt, der Mann arbeitet und vertritt ihre politischen Rechte. Doch machte sich Unmut breit. Am 18. November 1910 protestierten 450 weiß gekleidete Frauen vor dem Londoner Parlament, um dem Frauenwahlrecht Gehör zu verschaffen. Die Polizei ging brutal gegen sie vor. Der Kampf gilt als "Schwarzer Freitag" der Frauenbewegung. Wer waren die Frauen, die Innenminister Winston Churchill gewaltsam vertreiben ließ?

Die Demonstrantinnen waren Suffragetten. Ihre Bewegung, deren Name sich vom französischen "suffrage" (Wahl) ableitet, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts mit Protestaktionen für das Frauenwahlrecht berühmt. Oft wurden sie mit der britischen Frauenrechtsbewegung gleichgesetzt, waren aber nur ein Teil davon. Während die gemäßigteren Suffragistinnen über männliche Abgeordnete Petitionen einbrachten, griffen Rebellinnen, wie Mitglieder der Women's Social and Political Union (WSPU), zu radikalen Mitteln. Sie warfen Steine in die Fenster von Regierungsgebäuden, legten Brände und attackierten Politiker mit Hundepeitschen. Dabei griffen Suffragetten Methoden früherer Wahlrechtsproteste auf.

Ihr Protest richtete sich gegen das britische Wahlsystem. 1884 durften zwei Drittel aller Männer wählen, ausgeschlossen blieben Frauen, Kriminelle und Geisteskranke. "Von einem repräsentativen System zu sprechen, erschien den Frauen angesichts der Tatsache, dass die Hälfte der Bevölkerung im Parlament nicht vertreten war, wie Hohn", schreibt Michaela Karl in ihrem Buch "Wir fordern die Hälfte der Welt". Die Frauenrechtlerinnen waren zumeist bürgerlich, politisch liberal und in Vereinen versammelt. In der WSPU war der Einfluss der Vereinsgründerinnen Emmeline Pankhurst und ihrer Töchter Sylvia und Christabel groß. "Viele Frauen schlossen sich dieser Bewegung an, weil sie die Pankhursts anhimmelten und beweisen wollten, dass sie gute Soldatinnen sind", analysiert die Historikerin Brigitte Bader-Zaar von der Universität Wien die Rolle dieser Familie in der Suffragettenbewegung. Sie verstanden sich als "Armee im Krieg" und suchten die Öffentlichkeit.

Aufmerksamkeit um jeden Preis

Christabel Pankhurst selbst störte politische Versammlungen mit Zwischenrufen. Zwei Frauen ketteten sich gar an den Amtssitz des britischen Premierministers in der Downing Street Nr. 10. Die Suffragetten scheuten sich nicht vor der Demütigung mit Steinen und Eiern beworfen zu werden und nahmen bei ihren Aktionen Inhaftierungen in Kauf. Dabei versuchten sie als politische Gefangene anerkannt zu werden und traten aus Protest in Hungerstreik. Die Regierung ließ daraufhin inhaftierte Frauen zwangsernähren, was zu großer internationaler Kritik führte. Zwar wurden Frauen dann nach Hungerstreiks entlassen, aber nach der Besserung ihres Zustandes wieder inhaftiert. 1910 legten die Suffragetten einen Waffenstillstand ein, als das Parlament über eine Wahlrechtsreform diskutierte. Premierminister Henry Asquith verzögerte jedoch die Entscheidung, ein eingeschränktes Frauenwahlrecht zu bewilligen. Für die Suffragetten war das Maß voll. Sie zogen in weißen Kleidern und violetten Schärpen, den Farben ihrer Bewegung, am 18. November 1910 zum Londoner Parlament. Die Demonstration eskalierte, als Frauen in das Gebäude eindringen wollten. Polizisten schlugen und traten auf sie ein und rissen vielen die Kleider vom Leib. Drei Aktivistinnen starben, 115 Frauen und vier Männer wurden verhaftet. Die Öffentlichkeit war schockiert. Innenminister Churchill ließ die Anklagen fallen. Die Proteste gingen trotz des "Schwarzen Freitags" weiter. 1912 beschädigten Suffragetten Privateigentum, deponierten Brandsätze in Briefkästen, aber verletzten keine Menschen. "Die Aktionen entwickelten eine Eigendynamik und waren schwer zu stoppen", erklärt die Historikerin Bader-Zaar.

Die Methodik der britischen Frauenbewegung war einzigartig in Europa. Michaela Karl führt das in ihrem Buch über die Suffragetten auf den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Liberalismus in Großbritannien und den traditionsreichen Kampf um das Wahlrecht zurück.

Reaktionen im Ausland

Im übrigen Europa stieß das Frauenwahlrecht zwar auf Sympathien, nicht aber die radikalen Aktionen der Suffragetten. In der österreichischen Reichshälfte der Monarchie durften Frauen nicht in politischen Vereinen sein. Ihre Bewegung war in Lager geteilt. So thematisierten die Sozialdemokraten das Frauenwahlrecht am Frauentag oder den Maiaufmärschen. Die liberal-bürgerlichen Frauen reichten Petitionen ein.

Der 1. Weltkrieg veränderte die britische Frauenbewegung. Die militanten Suffragetten stoppten ihre Aktionen und setzten sich für die Mobilmachung der britischen Armee ein. Die gemäßigte Bewegung überzeugte immer mehr Politiker für ihre Sache. Nach dem Krieg wurde 1918 ein eingeschränktes Wahlrecht für Frauen über 30 Jahre abhängig von der Steuerleistung beschlossen, zehn Jahre später wurde das allgemeine Wahlrecht in Großbritannien eingeführt.

Der "Schwarze Freitag" jährt sich heuer zum 100. Mal. Das Frauenwahlrecht ist in Europa mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

»Wir fordern die Hälfte der Welt!«

Der Kampf der Suffragetten um das Frauenstimmrecht.

Von Michaela Karl, Fischer (TB.), Frankfurt 2009

367 S., Kart., e 13,40

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