Der sichere Effekt des Authentischen

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Dient es der Auflösung der schrecklichen Situation, bewirkt es eine Wendung zum Guten, dass der ORF den Appell des im Jemen entführten Österreichers Dominik N. im Originalton sendet? Dass wir beim Frühstück hören, wie der junge Mann mit versucht fester Stimme um die Rettung seines Lebens bittet? Natürlich nicht. Warum nicht auf die Einspielung verzichten? Freilich, im Internet ist der Videoclip einfach abrufbar. Aber muss ein Qualitätsmedium nicht Haltung bewahren?

Zwei Reaktionen in mir bewirkte das Audiodokument: Ärger über die journalistische Grenzüber-schreitung und, weit stärker, eine Welle von Mitleid, von Schmerz, deren Kraft mich selbst überraschte. Es war die Stimme des jungen Mannes, und es war besonders seine Sprachfärbung. Das war die Sprechweise, mit der ich aufgewachsen bin, dieses weiche, etwas nasale Wienerisch, die Sprache meiner Familie, meiner Freunde. So sprechen meine Neffen, auch sie Wiener Studenten, beinahe so alt wie Dominik N., oder besser: so jung.

Hätte ich ebenso empathisch reagiert, wenn der Betroffene spanisch gesprochen hätte, dänisch, russisch - oder nur einen anderen deutschen Dialekt?

Das Band des Milieus ist unglaublich stark. Das hat etwas Gutes, gibt die Sicherheit von Zugehörigkeit, Heimat, Selbstvertrauen. Die dunkle Seite, dialektisch daran gebunden, ist mangelndes Einfühlvermögen in alle Anderen. Wir und die. Das Eigene und das Fremde. Man muss das manchmal spüren, um sich selbst zur Rede zu stellen. Und wachsam zu bleiben, wenn man manipuliert werden soll.

Man hüte sich - nein, nicht vor dem Mitgefühl! Im Gegenteil. Aber vor einer verlockenden Über-identifizierung mit Opfern, die als wirksames Werkzeug des Boulevards im Normalfall die Quote steigert und im schlechteren Fall politisch missbraucht wird.

Die Autorin ist Direktorin des Kunstmuseums Lentos in Linz

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