Der Fall Relotius, die systematische Nachrichtenfälschung durch einen vielfach ausgezeichneten Reporter, ist aktuell der Super-GAU für den Journalismus. Doch der weit über den hauptbetroffenen Spiegel hinaus wirkende Skandal kann sich auf Dauer noch als Wendepunkt in letzter Sekunde für die Medienbranche
erweisen. Es geht um die Neujustierung vieler Systemzusammenhänge weit über den Einzelfall hinaus. Das beginnt mit dem Verhältnis von Wirtschaftlichkeit und Redaktionsarbeit: Journalismus ist kein Geschäftsmodell. Medien als public watchdog müssen ihm durch ausreichende Ressourcen Qualität ermöglichen, sonst verkümmert er zur demokratiepolitisch zahnlosen Töle, zum parteilich gemästeten Schoßhund, zum gesellschaftszersetzenden Straßenköter.
Der Preis dafür ist höher, als es Gratisangebote vorgaukeln. Wenn das Publikum diese Wechselwirkung akzeptieren soll, muss der Journalismus aber den Unterschied zu Kost-nix-Meldungen, zu PR und Boulevard, zu bloßer Meinungsmache und purem Geschichtenerzählen deutlicher machen, als es ihm bislang gelingt. Das geschieht am wirkungsvollsten durch konsequente interne Kontrolle und externe Transparenz. Doch je weiter das Thema einer Nachricht entfernt ist, desto aufwändiger wird die Beweisführung. Die Möglichkeit der Behauptung wächst mit dem Abstand des Adressaten.
Also: "Schuster, bleib bei deinem Leisten!" Dann - aber nur dann -sind regional verankerte Medien beim Vertrauenserhalt im Vorteil. Ihre Berichterstattung muss vor Ort bestehen. Das führt zu einer Neubewertung der berufsständischen Hierarchie. In Vollredaktionen stellen Lokalreporter oft die Mehrheit, rangieren aber am Ende der Hackordnung. Auch das muss sich ändern. Guter Journalismus beginnt an der Haustür und ist die beste Basis für die gesamte Qualitätsanmutung eines Mediums.
Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst