Dichterfilm, ganz unbetulich

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Unwiderstehliche Einführung in den leuchtend düsteren Kosmos eines Schriftstellers: „Josef Winkler – Der Kinoleinwandgeher“.

Filmporträts von Schriftstellern neigen zu Betulichkeit und gediegener Anämie: Einsame Menschen gehen spazieren und in sich, suchen die Stille und ringen am Schreibtisch um Inspiration. Michael Pfeifenberger ist in „Josef Winkler – Der Kinoleinwandgeher“ andere Wege gegangen, blass ist an diesem Film nur der Titel. Beginnend mit der Initiation des Bauernbuben in die Kinowelt durch die Winnetoufilme mit Pierre Brice und Lex Barker, stürzt eine Bilderflut auf den Zuseher ein, die es in sich hat. Schlüsselszenen der Kärntner Dorfkindheit (und der Winkler’schen Literatur) im messerscharfen Schnitt mit Totenverbrennungen am Ganges und buntem Friedhofstreiben in Mexiko: Monstranzen, Kruzifixe, durchschnittene Tierkehlen, die Silberklopfer in Benares, der glutspeiende Popocatepetl, ein alpenländischer Kuhstall aus grauer Vorzeit, der Kälberstrick, mit dem sich zwei schwule Burschen erhängen, der (echte) junge Josef Winkler bei Papst Wojtyla, Blutlachen, der allmächtige Vater in der Mühle, Totenköpfe aus Zucker, der kleine Bub im Bett, der Gott durch blasphemisches Schimpfen herausfordert.

Josef Winkler und Familie

Noch eindringlicher wirkt diese Mischung aus dramatischer Handlung, poetischen Assoziationen und Dokumentarischem durch die unorthodoxe Tonspur: Eine Mariachikapelle erklingt zu den rituellen Bädern im Ganges, klassische indische Musik zur Bauern-Wallfahrt.

Winkler, der bei Konzept und Drehbuch mitgewirkt hat, ist mit seiner Familie präsent, im kräftig roten Hemd, einer Prozession folgend, ein Glas Honig am Grab von Julien Green in Klagenfurt deponierend, das Notizbuch auf den Knien, in Indien, am Dia de los Muertos, dem Allerheiligentag, in Mexiko: „Denn bei den Toten bin ich gerne. Sie tun mir nichts und sind auch Menschen.“

In den Spielszenen verkörpert Winklers Sohn Kasimir den kleinen Sepp mit souveräner Duldermiene, die Texte des Dichters spricht Peter Patzak, klangvoll und dabei so, als hätte er Kieselsteine im Mund. Die Sprachnot des Büchner-Preisträgers wird als körperliche Erfahrung greifbar: „Wenn mir ein Satz nicht wie ein Mühlstein um den Hals hängt, wozu soll ich ihn dann loswerden?“ Pfeifenbergers Versuch, Winklers Schreibweise gleichsam filmisch nachzubilden, als ein Fest der Bilder und Obsessionen, der Wiederholung und der Verstörung, glückt gerade durch seine spielerische Unbekümmertheit. Auch der Autor hat offenbar zu einer entspannten Haltung gefunden, er vermag seine nekrophile Neigung mit Ironie zu betrachten, bisweilen wirkt er sogar verschmitzt.

So ist „Der Kinoleinwandgeher“ eine unwiderstehliche Einführung in den leuchtend düsteren Kosmos des Josef Winkler und, einen guten Magen vorausgesetzt, der passende Film zu Allerheiligen. Denn wem sonst ist es so ernst mit den letzten Dingen wie diesem Dichter, der in einem Interview sagte: „Wenn einen einmal das Katholische getroffen hat, wenn einem der Kirchturm vorne ins Herz gegangen ist und hinten wieder hinaus, dann wird man das nie wieder los.“ Koketter ist der Eigenbefund im Film: „Blut: Jesusfaktor Negativ“.

Josef Winkler – Der Kinoleinwandgeher

A 2008. Regie: Michael Pfeifenberger

Mit Familie Winkler, Martin Weinek, Oliver Voll-mann, Martha Toledo. Verleih: Stadtkino. 85 Min.

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