Die ambivalente Figur des Shylock

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Zu seinem 400. Todestag wird Shakespeare als genialer Autor gefeiert, der tief in die menschliche Seele blickte. Eines seiner meistgespielten Werke ist "Der Kaufmann von Venedig", dessen Hauptfigur "Shylock" ein sehr problematisches Judenbild zeichnet. Der Geldverleiher will einem christlichen Gläubiger als vereinbarte Gegenleistung ein Pfund Fleisch aus dem Körper schneiden. Als schillernde Figur sinnt Shylock einerseits auf Rache für Demütigungen durch die Christen und betont andererseits die Gleichheit aller Menschen, wenn er fragt: "Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?" Am Ende verliert er vor Gericht und soll zur Konversion gezwungen werden.

Als das Stück um 1597 entstand, waren antijüdische Vorstellungen in England verbreitet, obwohl Juden 1290 vertrieben worden waren und erst 40 Jahre nach Shakespeares Tod wieder zugelassen wurden. Ob Shakespeare sich mit dem ambivalenten Shylock gegen Stereotypen wenden wollte oder sich von dem Zerrbild einen Publikumserfolg versprach, ist strittig. Seither ist das Drama oft mit antisemitischem Klang gespielt worden. Als berüchtigt gilt die Inszenierung von Lothar Müthel mit Werner Krauss 1943 am Burgtheater. Nach der Shoa wurde das Stück mit spitzen Fingern angefasst; in Amerika gab es lange Proteste dagegen. Erst der Film von 2004 wurde von vielen positiver bewertet, weil Al Pacino den Shylock auch als Opfer darstellt. Der Film verweist auch aufs Ghetto, das in Venedig im Frühjahr 1516, fast auf den Tag 100 Jahre vor Shakespeares Tod, eingerichtet wurde.

Wo man Gruppen ausschließt, können Negativbilder entstehen und auf die Spitze getrieben werden, wie um 1600 in einem England ohne Juden. Es bedarf keiner Jahrestage, uns zu erinnern, wie wirkmächtig Ideen wie "Ghetto" und "geldgierige Juden" über Jahrhunderte sind.

Der Autor ist Wissenschafter am Institut für Jüdische Theologie der Universität Potsdam

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