Die Aufklärung steht auf der Kippe

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„Hütet euch vor jenen, die in ein Sprachrohr sprechen, die beschimpfen, die anschnauzen; vor jenen, deren Reden Reden der Macht sind, die größer ist als ein Mensch; die Scheinwerte bemühen, das Volk, die Geschichte, Götter und Götzen …“ So ist sie überliefert, die Eintragung des französischen Dichters und Philosophen Paul Valéry in seine „Cahiers“, seine Notizhefte, geschrieben zwischen 1936 und 1938. Warum sind die besorgten Intellektuellen damals wie heute auf verlorenem Posten?

Dieser Tage hörte ich in Radio Ö1 drei führende Journalisten diskutieren, und alle waren sich einig in der Diagnose zur Lage des Landes: Die Politik versagt. Sie scheitert an angemessenen Weichenstellungen und Lösungsideen in Bezug auf alle essenziellen Fragen, die mit der Weiterentwicklung (oder bloß Absicherung) der aufgeklärten, emanzipatorischen Moderne verknüpft sind. Man übertreibt nicht, wenn man die Ideale der Revolution, die vom Absolutismus zur Demokratie geführt hat, in Gefahr sieht. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – auf der Kippe.

Ist es nur einer Minderheit unerträglich, die Regierung dieses Landes vor Ressentiments, vor Pfründegier und Kleingeistigkeit sich ducken zu sehen? Dass Freiheit im Namen einer vermeintlichen Sicherheit dezimiert wird, Gleichheit der Chancen kaum mehr als Ideal zitiert wird und sich Brüderlichkeit zwar im Spendenbeutel beweist, aber nie bei Entscheidungen, die den eigenen Lebensraum betreffen?

Vor etwa 15 Jahren hat der Autor Edward Said seine Definition des „Ortes des Intellektuellen“ veröffentlicht. Es müsse ein Ort des geistigen Exils sein, der Unabhängigkeit, um ohne Verpflichtung gegenüber den Instanzen der Macht frei Stellung beziehen zu können und von „unseligen Zuständen Zeugnis abzulegen“. Diese Intellektuellen gibt es, und wir können ihr Zeugnis täglich vernehmen. Warum hat es keine Wirkung?

* Die Autorin ist Direktorin des Lentos Kunstmuseum Linz

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