In seinem Casting-Roman "Träum weiter“ erzählt Fabian Burstein von sadistischen Juroren, bloßgestellten Leider-Nein-Kandidaten und den absurden Auswüchsen des Kampfes um die Quote.
* Das Gespräch führte Sylvia Einöder
Der österreichische Popliterat Fabian Burstein verfasste mit seinem Debüt "Statusmeldung“ den ersten Facebook-Roman. In "Träum weiter“ rechnet der 30-Jährige mit der entgleisten Welt der Castingshows ab.
Die Furche: Warum haben Sie einen Casting-Roman geschrieben?
Fabian Burstein: Ich schaue mir viele TV-Formate an, die nicht vor Intellekt sprühen, weil mich das Kaputte, Jenseitige interessiert. Jeder ist in gewissem Maße voyeuristisch veranlagt. Mein Buch ist nicht nur eine Kritik des Genres "Casting-Show“, sondern auch eine Publikumskritik. Wenn das Maß voll ist, wird aus der Faszination Ekel und ich schalte um.
Die Furche: Wann ist das Maß voll?
Burstein: Mein Erwachen hatte ich, als mir klar wurde, mit welch sadistischen und faschistischen Methoden die Jury bei "Popstars“ arbeitet: Die gesamte Truppe muss etwa für die Untat des Sündenbocks büßen oder die Jugendlichen müssen bis drei Uhr morgens proben, leiden unter Schlafentzug. Das erinnert an die Methoden in Bootcamps.
Die Furche: Mit welcher Absicht schaffen die Castingshows-Macher solche Bedingungen?
Burstein: Um die Leute psychisch labil und kontrollierbarer zu machen. So kann man die "Drama-Schraube“ anziehen. Indem Teilnehmer kaserniert werden, finden sich automatisch Liebespaare, andere wiederum bekriegen sich und spinnen Intrigen.
Die Furche: Von welchen realen Figuren ist Ihr fiktives Jury-Oberhaupt JJ inspiriert? Burstein: Ein Leser hat mir gesagt, dass sich in JJ sämtliche Juroren von Dieter Bohlen über Sido bis zu Heidi Klum zu einem "popkulturellen Antichrist“ vereinen. Das trifft es haarscharf. Die Juroren werden als fiese Sprücheklopfer zum Aushängeschild der Shows, sind prominenter als die Künstler.
Die Furche: Letztendlich sorgen die prominenten Juroren für die Einschaltquoten.
Burstein: Das ökonomische Prinzip dahinter ist genauso sinnentleert wie die Show selbst: Alles ordnet sich der kurzweiligen Bespaßung eines übersättigten Publikums unter. Eine längerfristige Präsenz der Musiker am Markt ist nicht das Ziel. Wenn die Show vorbei ist, erkennen das die jungen Leute und sind total desillusioniert.
Die Furche: Welchen Einfluss üben Castingshows auf das Musikgeschäft aus?
Burstein: Viele Ressourcen der Industrie sind in solchen Formaten gebunden. Deshalb fehlt das Geld, um Alben mit neuen Künstlern zu produzieren. Da schwappt die gesellschaftliche und fernsehkulturelle Katastrophe auf die Musikindustrie über. Zudem geben die Casting-Kandidaten meist nur altbekannte Coversongs zum Besten.
Die Furche: Wie schätzen Sie die Entwicklung des Genres Castingshow ein?
Burstein: Die Macher trumpfen ständig mit noch irrwitzigeren Aufgaben und Settings auf. Mit den Fähigkeiten der Künstler hat das immer weniger zu tun. Stattdessen werden diese Shows teils als Sozialprojekte präsentiert: Die Schicksale der Teilnehmer werden vorgeführt, egal, ob es um Armut, Gewalt in der Familie oder den Verlust eines Angehörigen geht. In der Show "Supertalent“ wurde ein Mädchen als früheres Opfer von sexuellem Missbrauch präsentiert.
Die Furche: Im Roman kommt es zum Mord in der Casting-Szene. Pure Übertreibung?
Burstein: Ich halte es für pures Glück, dass sich noch keiner der Teilnehmer nach so einer Show mit einem Gewaltakt an der Jury gerächt hat. Ein "Starmania“-Teilnehmer etwa hatte für seinen Traum von einer Karriere als Musiker die Schule abgebrochen und landete schließlich in der Psychiatrie.
Die Furche: Halten Sie die Castingshows im ORF für qualitativer als andere?
Burstein: In Deutschland beherrschen die Macher von Castingshows die Inszenierung von "Sozialpornos“ in Reinkultur. Weil der deutsche Markt so groß und umkämpft ist, sind die dortigen Formate noch stärker auf den Quotenerfolg ausgerichtet.
Träum weiter
Von Fabian Burstein, Labor 2012.
192 Seiten, gebunden, e19,95