Die feine Klinge weicht dem Holzhammer

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Ionescos "Nashörner" arten im Wiener Volkstheater leider zur derb-plakativen Farce aus.

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Ionescos "Nashörner" arten im Wiener Volkstheater leider zur derb-plakativen Farce aus.

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Symbolhaft assoziieren die grauen Container in Michael Schilhans Inszenierung von Eugene Ionescos Parabel "Die Nashörner" (UA 1959) im Wiener Volkstheater: der Verwandlungsprozess, von dem der Autor in seinem Stück über die Manipulierbarkeit der Massen, Anpassung und Rassenhass satirisch mit den Mitteln einer Tierfabel erzählt, hat Ursachen. Die austauschbaren, in fahles Licht getauchten Wohnmodule (Bühne: Gerhard Fresacher), Käfige vom Reißbrett, lassen in ihrer Identität beschädigte Bewohner hinter den herabgelassenen Jalousien ahnen. Theodor W. Adornos Gedanken über die Erziehung nach Auschwitz kommen einem in den Sinn. Er formulierte sie in den Jahren als "Die Nashörner" weltweit und vor allem in Deutschland Triumphe feierten. Nicht zufällig, denn die Aufarbeitung der braunen Vergangenheit hatte gerade erst begonnen.

In der, unter dem Titel "Erziehung zur Mündigkeit" herausgegebenen Schriften- und Interviewsammlung analysiert Adorno präzise fortschreitende Zerfallstendenzen unter "der Oberfläche des geordneten zivilisatorischen Lebens" und ihre Auswirkungen auf den einzelnen Menschen durch eine Beschädigung der Identität und der Widerstandskraft gegen die Barbarei. Sein (auch schon früher) formulierter Satz, "Überall dort, wo Bewusstsein verstümmelt ist, wird es in unfreier, zur Gewalttat neigender Gestalt auf den Körper und die Sphäre des Körperlichen zurückgeworfen", lässt sich mühelos auf "Die Nashörner" umlegen. Mag sein, dass man im Volkstheater an den Philosophen gedacht hat, als man sich auf die Aktualität des Dramatikers besann, denn die aseptisch ordentliche Oberfläche dieser Bühnenzivilisation, unter der nach und nach Irritationen in Form von Dickhäutern auftauchen, lässt vermuten, hier wollte man nicht nur eine Farce zeitgemäß ins Bild rücken, sondern zu den Wurzeln dringen.

Tatsächlich startet Schilhans Inszenierung mit klaren sorgfältig gesetzten Bildern. Andreas Vitasek ist ein wunderbar verknitterter und verkaterter Behringer, wie er dem korrekten, bis in die Fingerspitzen gepflegten Hans von Toni Böhm gegenüber sitzt. Wenn nebenan das krause Pärchen, der Alte (Peter Uray) und der hagere Logiker (Günter Franzmeier), Syllogismen zu Hunden und Katzen bastelt, entsteht eine leise Komik, die das Grunzen des ersten Nashorns subtil verdüstert. Beim (akustischen) Auftauchen des zweiten Nashorns fällt die Katze, die es niedergetrampelt hat, vom Schnürboden. Noch ist das Völkchen auf der Bühne irritiert, ist konsterniert über solch tierisches Fehlverhalten. Doris Weiner als verstörte Besitzerin der Katze und der grobe Kolonialhändler von Roger Murbach, dem die Katze nicht mehr als wegzuräumender Unrat ist, bieten Momentaufnahmen recht vertrauter Charaktere. Wie ein Virus greift die "Rhinozeritis" um sich, es wirkt beinahe gespenstisch, wie sich die einen anpassen (Manfred Jaksch, Vera Borek) und andere, "wenn auch nicht ohne Vorbehalt", für die Nashörner Partei ergreifen.

Doch spätestens, wenn Toni Böhm als Hans sich von seiner anfangs beeindruckenden Studie zunehmender Vertierung eines Menschen immer mehr mitreißen lässt, wuchtet, was zunächst überlegt und auf die tragikomische Waagschale gelegt beginnt, zur derb-plakativen Farce aus. Chris Pichlers Daisy, die Geliebte Behringers, die dämchenhaft und sehnsuchtsvoll den schnaubenden Lockrufen folgt, trägt das Ihre dazu bei. Allzu penetrant brüllen dann die "Nashörner", und man bedauert den Holzhammer, der die feine Klinge verdrängt. Schade für einen Abend, an den man mit hohem Anspruch heranging, ohne ihn letztlich durchzuhalten.

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