Die Geschichte von Lionel Blue

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Einer meiner liebsten Lehrer am Londoner Rabbinerseminar war Rabbiner Lionel Blue. Er war bekannt, weit über die jüdischen Gemeinden Englands hinaus. Denn er hatte über dreißig Jahre lang eine eigene Sendung - "Gedanken für den Tag“ im Radio, und seine Bücher über jüdische Spiritualität und jüdische Wege zu Gott waren die sprichwörtlichen warmen Semmeln, so gut verkauften sie sich. Hundertausende von Menschen fühlten, dass sie von Lionel Blue lernen konnten, ihr Leben zu meistern und Gott nahe zu sein. Lionel Blue, der heute Anfang achtzig ist, hat dem Judentum ein kluges, warmherziges und liebenswertes Gesicht gegeben.

Nur bei der Frage nach seinen eigenen persönlichen Beziehungen im Leben blieb er lange vage. Denn Lionel Blue ist ein schwuler Mann. Während seines Wehrdienstes hatte er einen Nervenzusammenbruch erlitten und war drauf und dran gewesen, sich umzubringen. Später, an der Universität Oxford, versuchte er sich ziemlich erfolglos an einer Freundin, stolperte über die Quäker, wo er erstmals die Gegenwart Gottes spürte und trat daraufhin ins Rabbinerseminar ein, wo es ihn aber zunächst nicht lange hielt. Denn Amsterdam lockte. In den Fünfzigerjahren war Amsterdam das Greenwich Village Europas - und Lionel Blue beschreibt, dass er in drei Monaten wohl nicht einmal das Tageslicht gesehen hatte. Bis ihn der Rektor des Londoner Rabbinerseminars in Amsterdam aufspürte, um ihn zurückzuholen. Lionel Blue war da bereits zu der Ansicht gekommen, er habe im organisierten Judentum als Schwuler nichts zu suchen, schon gar nicht als Rabbiner.

Umso wichtiger ist es dann, dass jemand kommt, und uns bei der Hand nimmt, wie dieser Lehrer des Rabbinerseminars es bei Lionel Blue getan hat. Er hat ihm gesagt: Du bist einer von uns, Dich können wir im Judentum gebrauchen.

Der Autor ist Rabbiner und leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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