Alles in allem betrachtet, sind sie netter geworden, die Damen und Herren Kulturkritiker. Keine so widerborstigen und unbeweglichen Sturköpfe wie ihre Vor- und Vorvorgänger von anno dazumal. Niemand darf ernsthaft verärgert, alle sollen weitgehend zufriedengestellt werden. Ist es doch auch ein nachvollziehbares Begehren der Verfasser, so nebenbei auch die eigenen Netzwerke auszubauen. So buckelt und dienert eben so mancher Vertreter der sogenannten kritischen Zunft vor Direktoren und Intendanten ganz so, als wären es seine eigenen Dienstgeber.
Das war schon immer so, könnten Sie mir entgegnen. Kann schon stimmen, freilich war alles ein bissel anders. Geschrumpft ist so manches. Der Umfang der Kritiken ebenso wie Haltung, Mut und die Bereitschaft nicht nur zu berichten, sondern einer Sache auf den Grund zu gehen. Dass Freiräume, je weniger man sie nützt, kleiner werden, merkt man zunächst nicht. SMS und Online-Texte haben überdies zu einer beängstigenden Verknappung und Nivellierung der Sprache geführt. Die Buchstaben sterben, das Papier riecht nicht mehr, die Seele wird hinwegrationalisiert. Wo sind die Zeiten, in denen Hans Weigel den Verriss über ein Stück von Gerhart Hauptmann in dessen Stil und Versmaß verfasste. Dazu fehlen heute Handwerk und Humor. Vorwürfe von Bestechlichkeit hat es schon immer gegeben. Kritiker, die sich von Sängern, Agenten und Direktoren abhängig machen, haben in Wien Tradition. Die Zusammenarbeit mancher Zeitungen mit Kulturinstituten in Form von Anzeigen und Sonderbeilagen erleichtert das Leben der Kritiker auch nicht.
Wir befinden uns, wie gesagt, in einem Schrumpfprozess. Fast täglich folgen wir der Aufforderung, scheinbar Unnötiges wegzulassen und bemerken nicht, dass das nutzlose Beiwerk nicht weniger als der Inhalt ist. Mit seinem Abhandenkommen werden wir immer kleiner und unbedeutender, bis - ja, bis wir eines Tages ganz verschwinden. Dann erst dürfte es Zeit sein für den erhofften Neubeginn.
* Der Autor ist Kulturmoderator beim Privatsender ATV
