Die Intensität des Lebens

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Zum Glück hatten wir Karten reserviert: Die Ausstellung von Lucian Freud in London war für das gesamte Wochenende ausgebucht. Was macht diesen Künstler, der vergangenes Jahr gestorben ist, so populär? Lucian Freud trug einen großen Namen, er sah gut aus, und er konnte unglaublich gut malen. Die laufende Ausstellung zeigt seine Porträts und damit das Herzstück des Œuvres. Kein anderer Maler der Gegenwart, vielleicht des 20. Jahrhunderts, hat sich dem Menschenbild so sehr verschrieben wie Freud. Ich male Menschen, sagte Freud, "because I want to create drama in my pictures“, weil ich, könnte man frei übersetzen, Ereignisse in meinen Bildern schaffen will. Es geht um nichts weniger als um die Intensität des Lebens.

Lucian Freud weigerte sich, nach Fotografien zu malen. Seine Modelle - die Queen ebenso wie Künstlerkollegen, seine Familie oder Exzentriker, die ihm vorgestellt wurden - mussten ihm sitzen, und das für Stunden, Tage, Wochen. Ihm Modell zu sitzen war anstrengend, aber man wurde mit Konversation belohnt, mit Reflexionen über Kunst, mit Anekdoten, mit Tratsch. Diese gemeinsam verbrachte Lebenszeit ist in den Bildern, in jedem der breiten, fast brutal gesetzten Pinselstriche, konserviert.

Seine Porträts waren nie schmeichelhaft, aber virtuos. Doch neben der künstlerischen Exzellenz ist es ihre Entstehung, welche diese Kunstwerke so anziehend, so berührend macht. Diese langen Zeitspannen, die zwei Menschen miteinander verbracht haben. Sind wir jemals mit einem anderen für Stunden allein, ohne Ablenkung, ohne anderes Programm als auf einander konzentriert zu sein?

Ein einziger Kollege wagte es übrigens, Freud zum Gegengeschäft aufzufordern: David Hockney bat Freud, nachdem er ihm monatelang jeden Vormittag Modell gesessen hatte, vice versa ihn porträtieren zu dürfen. Freud willigte ein. Nach zweieinhalb Stunden hatte er genug.

* Die Autorin ist Direktorin des Lentos Kunstmuseums Linz

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