Die letzte Kathedrale

Werbung
Werbung
Werbung

Zum 150.Geburtstag der katalanischen Architektenlegende Antoni Gaudí.

Wie ein steinernes Manifest des Glaubens ragen die mächtigen Türme der "Sagrada Familia" in den Himmel über Barcelona. Noch immer unvollendet, ist dieses Lebenswerk des faszinierenden katalanischen Architekten Antoni Gaudí die letzte große Kathedrale des Christentums in Europa. Am 25. Juni 1852 geboren, wurde er längst zum Mythos und zur Legende. Barcelona, die Stadt, die er mit seinen Bauten prägte, feiert ihn mit 20 Ausstellungen, 120 Veranstaltungen, Konferenzen, Symposien, einem Gaudí-Musical und mehr, Kardinal Ricardo Maria Carles treibt seinen Seligsprechungsprozess voran.

Zu Lebzeiten war Gaudí umstritten. Seine fantasiereiche, eigenwillige Formensprache, die sich stark an der Natur orientierte, wies weit über den Modernisme, die katalanische Ausprägung des Jugendstils, hinaus, seine ausufernde Arbeitsweise sprengte Zeit- und Kostenrahmen. Die Casa Calvet (1898-1900), Gaudís konventionellstes, zurückhaltendstes Haus, führte den Bauherren, Pere Màrtir Calvet, in den Ruin. Im kunstsinnigen Industriellen Eusebi Güell fand Gaudí einen kongenialen Partner. Ihm baute er die Finca Güell (1884-87), die von einem schmiedeeisernen Drachenungetüm am Gartentor bewacht wird, allein für die detailreiche Fassade des Palacio Güell (1886-89) zeichnete er 25 Pläne, sein Dach ist von märchenhaften Skulpturen bewohnt. Die Krypta Colònia Güell (1898-1917) blieb ebenso genial unvollendet wie der Park Güell (1900-1914), der vom Duo Gaudí - Güell als utopisches Wohnparadies geplant war. Die Mustersiedlung blieb ein Traum, der Garten verbindet in einzigartiger Harmonie Gebautes mit Natur. Eine überdimensionierte Säulenhalle nach antikem Vorbild, pflanzenüberwucherte, mächtige Promenadenwege aus Natursteinen, Pförtnerhaus, Platz der Elefanten, Schlangenwege und die Treppe mit dem berühmten Salamander machen den Park Güell zum symbolreichen Zaubergarten. Am Zenit seines Ruhms baute Gaudí ein Wohnhaus mit gewellter Fassade, das ganz ohne gerade Linie auskommt. "La Pedrera" - "Steinhaufen" - nannten Zeitgenossen die Casa Milà, bei der Gaudí die Bauordnung sprengte und so gänzlich neue Grundrisse und Räume schaffen konnte. Hier werden Kamine zu figurativen Skulpturen, der Gang aufs Dach zum sinnlichen Erlebnis.

"Sanctus, sanctus, sanctus": aus Stein gemeißelt windet sich dieser Schriftzug um die vier Glockentürme der "Sagrada Familia", 105m ragen sie in den Himmel, "Hosanna" und "Excelsis" steht auf den schmalen, parabelförmigen Spitzen, die von einem verzierten Kreuz gekrönt sind. Gaudí konzipierte die einzigartige Kathedrale als "erste einer neuen Reihe." Bistumsarchitekt Francisco de Vilar hatte den Bau im gotischen Stil begonnen, als 31-Jähriger übernahm Gaudí am 3.11.1883 den Auftrag, der ihm als ausuferndes "work in progress" zum Schicksal wurde. Zwölf Türme, Symbole der zwölf Apostel, sollte die Kirche haben, die Fassade mit ihrer reichen figuralen Gestaltung ist steingewordene Verkündigung. Im Osten, gegen Sonnenaufgang, ist die Geburt Christi dargestellt, im Westen die Passion, die nach Gaudís Tod mit Plastiken von José María Subirach vollendet wurde.

Glaube, Liebe, Hoffnung, Glorie: die Kirchenarchitektur ist von Symbolen durchsetzt. "Ich bin das Licht": diese Worte Christi schwebten Gaudí vor. Er wollte eine Kathedrale bauen, die von innen heraus weit über Barcelona strahlte. Die tragenden Säulen sollten sich wie die Zweige von Bäumen im Gewölbe verästeln, die Menschen wie die Vögel im Wald in der Kirche Zuflucht suchen. Um diese Ideen zu verwirklichen, suchte Gaudí nach einer neuen, steinernen Konstruktion, die schwere Lasten besser ableiten konnte als gotische Gewölbe. Er baute ein Modell, behängte Parabeln aus Eisendraht mit Bindfäden und Schrotkugeln, das umgedrehte Foto davon bildete die Basis einer visionären Konstruktion. Die letzten zwölf Lebensjahre widmete Gaudí ausschließlich der Sagrada Familia, fastete, betete, ging täglich zur Messe, übernachtete auf der Baustelle, arbeitete in unermüdlicher Hingabe am Lebenswerk. Eine echte Kathedrale war seiner Ansicht nach das Werk von Generationen, Honorar verlangte er keines, die "Sagrada Familia" wurde von Spenden finanziert, mit ihrer Fertigstellung zu Lebzeiten rechnete er nie: "Der Heilige Josef selbst wird sie vollenden!"

Als Gaudí am 7. Juni 1926 von einer Straßenbahn überfahren wurde und fünf Tage später unerkannt in einem Armenhaus starb, fand man eine Bibel, Rosinen und Erdnüsse in seinen Taschen. Weihnachtsportal, Glockentürme, Teile der Apsis und die Krypta, in der Gaudí bestattet ist, waren fertig. Im spanischen Bürgerkrieg verbrannten Gaudís Pläne, eines seiner originalen Gipsmodelle blieb erhalten. Bis heute bildet Gottes weiter Himmel das Gewölbe der 110m langen Kathedrale mit lateinischem Kreuzgrundriss. Die "Sagrada Familia" ist eine sakrale Großbaustelle. Seit Jahrzehnten wird an dieser "Kathedrale der Armen" gebaut, 1977 wurde die Passionsfassade mit vier Glockentürmen fertig, bis 1990 die Fundamente des Kirchenschiffs gelegt, bis 1996 an den Gewölben der Seitenschiffe gebaut, nun ragen schon die des Hauptschiffes in den Himmel. Sechs weitere Türme sind geplant, vier sollen den Evangelisten, einer der Heiligen Maria und einer Christus geweiht sein. Darauf soll ein großes, begehbares Kreuz sein. 2020, spätestens 2030 soll die "Sagrada Familia" fertig sein. Gaudís Genie ist einzigartig, doch die Nachfolgegenerationen bauen weiter. So gesehen ist die "Sagrada Familia" die letzte echte Kathedrale.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung