Die Polarität überwinden

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Religionen und kapitalismus

Mosche Chaim Luzzatto lehrte im 18. Jahrhundert: "Das Verlangen nach Geld bindet den Menschen mit irdischen Fesseln und legt die Stricke der Fronarbeit um seine Arme. Wie die Schrift sagt: ‚Wer das Geld liebt, wird am Geld nie satt‘ (Dtn 30,13).“ Vor der Aufklärung war das ökonomische Denken stark mit Lehren ethischer oder religiöser Herkunft durchsetzt. Wirtschaftliche Vorgänge wurden durch Begriffe der persönlichen Lebensführung definiert. Adam Smith und John Stuart Mill waren ihrem Selbstverständnis nach in erster Linie Moralphilosophen gewesen und avancierten erst im Nachhinein zu den Begründern der modernen Nationalökonomie. Deshalb die Frage: ist Wirtschaften eine wertfreie, rein sachliche Angelegenheit, die nur mit einem ethisch-moralischen Rahmen als Korrektiv zu versehen ist?

Noch einmal Luzzatto: "Bei den meisten Menschen, obwohl sie nicht geradezu Diebe sind, die dem Nächsten Geld wegnehmen, um es sich in die Tasche zu stecken, streift das Geschäftsgebaren an Diebstahl. Sie halten es für erlaubt, sich durch die Schädigung eines anderen zu bereichern, und meinen: Geschäft ist Geschäft. Die Gewinnsucht ist eine starke Leidenschaft, und darum kann man durch sie mannigfach zu Fall kommen.“

Dem Judentum geht es um eine Erweiterung ökonomischer Rationalität durch ethische Vernunft. Das Wirtschaftssystem sollte ein zentraler Ort ethischer Reflexionen sein. Denn unternehmerisches Handeln ist immer auch Gegenstand gesellschaftlicher Konflikte: um die Verteilung von materiellen, sozialen und ökologischen Kosten und Nutzen dieses Handelns. Für die Lösung dieser Konflikte gibt es lediglich zwei Wege: entweder das Recht des Stärkeren oder ein sozialethischer Rahmen fürs Gewinnstreben. Die Aufgabenstellung heißt: Überwindung der Polarität von Ethik und Ökonomie.

Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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