Die Zeiten verfinstern sich zunehmend

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Zehn Jahre nach Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" erschien 1939 in London "Leb wohl, Berlin" des Engländers Christopher Isherwood (1904-1986). 1929 kam er in Berlin an und hielt sich dort auf bis Hitler an die Macht kam. Von da an war für einen bekennenden Homosexuellen in Deutschland kein Bleiben mehr. Wie sich das Land veränderte, bekam er hautnah mit. Gewiss ist das Buch aus sechs Erzählungen, die sich allenfalls locker zu einem Roman fügen, aus eigenen Erfahrungen hervorgegangen.

Der Erzähler tritt auf unter dem Namen Christopher Isherwood, um so mit Nachdruck festzuhalten, dass wir mit einer reinen Fiktion nicht zu rechnen brauchen. Wie Döblin bekommt auch er das Berlin der Verlierer und Absteiger zu sehen. Döblin allerdings ist der Härtere, der die Brutalität der Stadt unmittelbar in die Rohheit der Sprache überträgt. Isherwood macht hier nicht mit. Er ist die elegante Ausgabe eines Beobachters von Elend, der hinter all dem Dreck, der Not und der Verlorenheit seiner Figuren Menschen ausmacht, deren ganzes Streben unter dem Zeichen der Vergeblichkeit steht. Das ist traurig, doch Gefühle schleust er nur äußerst sparsam ins Buch. Sein literarisches Programm gibt er von Anfang an preis: "Ich bin eine Kamera mit offenem Verschluss, ganz passiv, ich nehme auf, denke nicht." Das ist gut gesagt, stimmt dennoch nicht ganz. Einer, der nicht draußen steht, sondern mit den Figuren, über die er schreibt, in engem Kontakt steht, bleibt nicht ungeschoren. Er leidet mit, ärgert sich, nimmt teil am Schicksal der anderen -dennoch schreibt er darüber so nüchtern wir möglich.

Unaufhaltsamer Marsch in den Untergang

Das Buch bildete die Vorlage zum Film "Cabaret" und ist unvergleichlich stärker als dieser. Der Film ist zugeschnitten auf Liza Minelli und die bekommt eine Präsenz, wie sie Isherwood selbst für Sally Bowles nicht vorsieht. Ihr ist eine von sechs Episoden zugedacht. Die literarische Sally ist ein naives Mädchen, das betrogen, bestohlen, gedemütigt wird und trotzdem ihre Hoffnungen auf den einen großen Filmvertrag, der mit einem Schlag alles ändern soll, nicht aufgibt. Sie bleibt das unbelehrbare Dummchen, in ihrer leichtsinnigen Unbekümmertheit an Truman Capotes Holly Golightly in "Frühstück bei Tiffany" erinnernd.

75 Jahre nach Erscheinen der englischen Originalausgabe liest sich der Roman auch als Studie einer politischen Verfinsterung. Nazis treten unangenehm in Erscheinung und Antisemitismus vergiftet die Atmosphäre. Die Wirtschaft liegt am Boden, von einem Tag auf den anderen werden "die Darmstädter und Nationalbank dichtgemacht!" Was solche Meldungen besagen, führt uns Isherwood am Beispiel einiger trauriger Gestalten vor, die vom unaufhaltsamen Marsch in den Untergang mitgezogen werden. Und wenn man schon aus dem Loben nicht herauskommen will, dann soll die Übersetzung von Kathrin Passig und Gerhard Henschel auch noch als Glücksfall gewürdigt werden.

Leb wohl, Berlin

Von Christopher Isherwood, übers. v. K. Passig und G. Henschel, Hoffmann und Campe, 2014.272 S., geb., € 20,60

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