Diese Geschichte will geschrieben werden

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„Können Musen fliegen?“, fragte die Linzer Schriftstellerin Eugenie Kain in ihrer gleichnamigen Erzählung. In jene von der Erzählerin eben erst begonnene Geschichte „vom Tankhafen und dem Tankschiff und der Tankwartin, die nach den Schiffen horcht“, nörgelt sich bald eine Stimme kursiv hinein: „Kann das eine Geschichte werden? Schon am Anfang mangelt es an Präzision.“ Die Erzählerin verteidigt sich: „Warum lenkst du mich ab? Ich schreibe den ersten Entwurf dieser Geschichte. Du bist schon beim Endlektorat. Ich aber bin noch gar nicht im Schreibfluss. Ich wate im Uferschlamm. Diese Geschichte will geschrieben werden. Das ist nicht einfach. Von den Sätzen rutsche ich ab wie von glitschigen Steinen.“

Will eine Geschichte geschrieben werden, ist das gar nicht einfach, geht es beim Erzählen doch nicht einfach nur um Plots oder um Sozialkritik. Literatur ist mehr, Eugenie Kain wusste das. Ihr Blick auf das Leben ganz normaler Menschen, ihren Alltag, ihre Lebensbedingungen, ihre Begrenzungen und Ausbruchsversuche, ihr Kleingemachtwerden und ihre Bedeutung jenseits der Nummer, die sie für das Arbeitsamt oder den Arbeitgeber darstellen, war nicht bloß der wache, kritisch wahrnehmende Blick einer sozial engagierten Frau, sondern der einer Schriftstellerin, die auch mit Fragen wie jenen nach der Möglichkeit des Schreibens und nach Nähe und Distanz zu den erfundenen Figuren rang – und mit der passenden Form.

Durchlässige Felswände

Literatur ist Melodie, Rhythmus, Gesang, wusste Kain: „Am Text und an den Worten kannst du feilen bis zum Schluss. Während der Arbeit an der Erstfassung, am Endmanuskript und an den Korrekturfahnen. Aber die Melodie muss stimmen. Von Anfang an … Wenn du den Text nicht zum Schwingen bringst, bleibt deine Geschichte totes Wortmaterial.“

Mit dem Förderungspreis für Literatur 2006 erhielt die Autorin verdienterweise die öffentliche Anerkennung durch die Republik Österreich. Zuletzt wurden ihre Werke zumindest von den österreichischen Feuilletons beachtet. Im Rampenlicht des Literaturbetriebes stand sie nicht, und auch ihr Tod – am 8. Januar 2010 ist die 1960 geborene Autorin an den Folgen ihrer schweren Krankheit gestorben – löste keine mediale Nachrichtenwelle aus. 2007 erinnerte Hans Höller an die durch den Gesang im Inneren des Berges durchlässig gewordenen Felswände in Kains Erzählung „Flüsterlieder“: „ ... wie sie erzählt, das ruft einem in Erinnerung, was die Idee des Erzählens ist: die Wände, auch die des Ich, durchlässig zu machen, jedem seinen Raum zu geben, zu verändern und zu bestärken, dem Sanften und dem Kräftigen, dem Zaghaften und Selbstbewussten eine Stimme zu verleihen.“

Das nächste booklet erscheint am 4. März 2010 als Beilage in der FURCHE Nr. 9/2010

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