Drangsaliert in Dagenham

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"Motortown" von Simon Stephens: Gnadenlose Realität, abgebildet durch das Royal Court Theater.

Dagenham nordöstlich von London: Das einzig Interessante ist eine Fordfabrik, ansonsten herrscht No-Future-Atmosphäre unter den Jugendlichen.

Der englische Dramatiker Simon Stephens kennt als ehemaliger Lehrer die desolate Situation dort nur zu gut. In seinem jüngsten Stück "Motortown" lässt er den jungen Soldaten Danny (Daniel Mays) aus dem Irakkrieg in dieses Niemandsland zurückkehren; dort findet er eine Gesellschaft vor, deren Regeln er verlernt hat und von deren kriegsverachtender, liberaler Haltung er sich verraten fühlt. Seine frühere Freundin Marley (Daniela Denby-Ash) hat längst einen anderen, und als Danny die junge farbige Jade (Ony Uhiara) kennen lernt, verhält er sich, wie er es vom Krieg gewöhnt ist: Er foltert und erschießt sie, seine Taten mit dem Handy fotografierend. Dieses Phänomen dokumentierter Gewalttaten hat bereits einen Namen: Happy Slapping. Auch für Danny, dessen bubenhaftes Aussehen und naive Mimik die Unfähigkeit zur Reflexion deutlich machen, ist Quälen und Gequält-Werden geradezu alltäglich.

Der beinahe leere Raum funktioniert in dieser schmucklosen Inszenierung als Boxring. Außerhalb des Kampfplatzes sitzen die Schauspiel-Kollegen und beobachten Dannys Kampf. In den choreografierten Umbauten ordnen sie die wenigen Stühle und Tische für die nächste Runde neu an. Und dem Zuseher wird ein kurzer Moment des Luftholens gewährt. Doch jede neue Runde zeigt die Unmöglichkeit der Integration des abgerüsteten Soldaten. Für ein Swinger-Paar aus der Londoner Mittelklasse hat er nur Verachtung übrig, der Halbweltboss Paul (Richard Graham), der ihn mit Munition versorgt, hat fragwürdige Ideologien im Gepäck. Die einzig moralisch integre Figur ist Dannys behinderter Bruder Lee (Tom Fisher), ein einseitig Hochbegabter mit erstaunlichem Zahlengedächtnis. Dieser "Narr" konfrontiert Danny mit sich selbst.

Stephens hat dieses knappe Drama für das heuer 50 Jahre alte Royal Court Theatre entwickelt, eine Bühne, die stets durch ihre bissigen, ungemütlichen Arbeiten auffällt. Regisseur Ramin Gray hat dafür ein gutes Timing gefunden: In den wenigen Szenen verdichtet und beschleunigt er die Handlung bis zum Schlussbild, in dem gerade Lee - durchaus zärtlich - seinem Bruder die Konsequenzen seines Tuns verdeutlicht. Gnadenlos beunruhigend bildet das Royal Court Theatre die Realität ab.

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