"Ein breit gefächertes UNIVERSUM"

19451960198020002020

Tizza Covi und Rainer Frimmel bleiben in "Mister Universo" dem Zirkus-Milieu treu - und folgen einem Dompteur bei der Suche nach dem Glück. | Das Gespräch führte Matthias Greuling

19451960198020002020

Tizza Covi und Rainer Frimmel bleiben in "Mister Universo" dem Zirkus-Milieu treu - und folgen einem Dompteur bei der Suche nach dem Glück. | Das Gespräch führte Matthias Greuling

Werbung
Werbung
Werbung

Sie sind von ihrem Lieblingsthema besessen: Tizza Covi und Rainer Frimmel, filmemachendes Paar aus Österreich, haben nach Filmen wie "Babooska" (2005) oder "La Pivellina" (2009) erneut das Zirkusmilieu untersucht und begeben sich in "Mister Universo" auf eine Reise durch ein Italien fernab der Postkartenidylle. Zirkus machen, das ist ein Full-Time-Job an den Peripherien der Großstädte. Und weil die Artisten allesamt abergläubisch sind und einen Talisman besitzen, ist es genau dieser Glücksbringer, der als Auslöser für die Geschichte von "Mister Universo" dient. Den hat der Raubtierbändiger Tairo (Tairo Caroli) nämlich verloren, ein Stück Eisen, das Arthur Robin, der Starke, einst gebogen und ihm geschenkt hatte. Tairo begibt sich auf die Suche nach Arthur, die ihn durch halb Italien führt.

DIE FURCHE: Ihr neuer Film "Mister Universo" spielt wieder im Zirkusmilieu, ein Thema, das Sie nicht loszulassen scheint.

Tizza Covi: Bei uns entstehen die Ideen immer durch die Begegnungen. Wir lernen Menschen kennen und schätzen und ihre Lebensgeschichten und dann entstehen diese Ideen. So sind wir dazugekommen, diesen Film zu machen, der im Wesentlichen mit Menschen zu tun hat, die wir bei der Arbeit an "Babooska" kennen gelernt haben, allen voran Arthur Robin, mit dem wir unbedingt etwas machen wollten.

DIE FURCHE: Welche Art von Kosmos ist das Zirkusmilieu für Sie?

Rainer Frimmel: Es ist ein völlig anderes Leben, bei dem man permanent auf der Reise ist und eine gewisse Heimatlosigkeit kennt, aber dennoch das Zusammensein mit den anderen schätzt. Der Zirkus ist eine Familie im weitesten Sinne. Es ist eine in sich geschlossene Welt. Als Außenstehender da hinein zu kommen, hat schon was Faszinierendes. Wir werden natürlich immer fremd sein in dieser Welt. Für mich ist das ein sehr soziologischer Zugang, in diese Welt einzutauchen und darin auch akzeptiert zu sein.

Covi: Es geht bei uns immer um kleinste menschliche Regungen und das Beobachten dieser Menschen, um das menschliche Dasein an und für sich. Mich fasziniert am Zirkus auch diese Zeit der Leerläufe, nicht so wie in unserer Welt, wo alles zeitgemäß und planmäßig eingeteilt ist.

Frimmel: Dieser tägliche Kampf ums Überleben, den es beim Zirkus gibt, ist natürlich schon ein Spiegel der Gesellschaft. Man spürt richtig, wie die Artisten gespannt warten, ob das Publikum auch kommt, und ob da jetzt zehn Leute kommen oder hundert.

DIE FURCHE: Geht man zum Zirkus, weil man die Freiheit liebt?

Frimmel: Das ist das größte Klischee überhaupt.

Covi: Zirkusleute interpretieren ihr Leben nicht als Freiheit, wenn sie jeden Sonntagabend das Zelt abbauen und jeden Dienstagvormittag wieder aufbauen müssen. Das ist wirklich hart. Es ist für jeden ein großer logistischer Auftrag. Es gibt keinen Artisten, der nicht bei der Arbeit mitmacht.

DIE FURCHE: Im Film geht einer der Protagonisten auf die Suche nach dem Mann, der ihm einst seinen Talisman geschenkt hat. Was hat es damit auf sich?

Covi: Artisten sind sehr abergläubisch, weil es ja auch ein sehr gefährlicher Beruf ist und jeder hat seinen Talisman und seine Rituale.

DIE FURCHE: Diese Reise, die im Film gemacht wird, ist eine Reise durch ein Italien, das man so von der Urlaubsvorstellung nicht kennt. Es entspricht keinem einzigen Italienklischee.

Frimmel: Ja, denn die Zirkusse begeben sich immer an die Ränder von großen Städten. An Orte also, wo man als Tourist oder normales Filmteam nicht hinkommt. Da sieht man schon, dieser Überlebenskampf, den es im Zirkus gibt, der herrscht dort genauso auch auf der Straße. Dort haben die Leute wirklich wenig Geld. Das ist Realität in Italien.

DIE FURCHE: Wie hat sich die Arbeitsweise als Duo bewährt bzw. über die Jahre verändert?

Covi: Wir arbeiten sparsam, machen, wenn es geht, zwei bis drei Takes, aber Rainer weiß zum Beispiel, dass er jedes Bild noch zehnmal verbessern kann. Er ist ein Perfektionist. Aber mir als Schnittmeisterin geht es mehr um Gefühle als um Präzision.

DIE FURCHE: Tizza Covi besorgt also den Schnitt, Rainer Frimmel die optische Ausgestaltung der Filme?

Frimmel: Das ist von Szene zu Szene unterschiedlich, bei manchen Szenen ist ein vorheriges Absprechen gar nicht möglich, die passieren einfach. Bei wichtigen Dialogszenen überlegen wir gemeinsam vorher schon alles sehr genau.

Covi: Ich mache den ersten Rohschnitt von 120 Minuten und dann schauen wir gemeinsam, was uns gefällt. Ich bin in dieser sensiblen Phase, wo ich schaue, ob wir das überhaupt so machen können, in keinster Weise offen für Kritik, und daher ist es mir lieber, ich arbeite da alleine. Es läuft nicht immer ganz demokratisch ab.

DIE FURCHE: Das Kino als Illusion und die dokumentarische Arbeit mit einem Zirkus wie in "Mister Universo", das sind eigentlich in sich widersprüchliche Dinge.

Covi: Das Kino ist Illusion, aber es ist ein breit gefächertes Universum an Möglichkeit, wie diese Illusion gestaltet ist. Dabei ist gerade der Widerspruch der interessanteste Aspekt in unserer Arbeit. Genau deshalb machen wir Filme: Um Widersprüche zu finden.

Mister Universo

A/I 2016. Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel. Mit Tairo Caroli. Stadtkino. 90 Min.

KRITIK ZU "MISTER UNIVERSO"

Eine herzzerreißend schöne Welt

Tairo (Bild re.) ist ein junger Löwendompteur in einem italienischen Zirkus. Ein harte Profession - nicht nur, dass der Tross immer wieder im Wortsinn seine Zelte ab- und aufbauen muss - harte Arbeit. Dazu kommt, dass Zirkus in der Publikumsgunst kein Renner mehr ist, und auch für einen Dompteur wird das Leben immer schwieriger, nicht zuletzt, weil die Raubtiere, mit denen er arbeiteten kann, immer älter werden und versterben. Umso wichtiger ist für Tairo ein Talisman, den ihm in Kindertagen der berühmte Eisenbieger Arthur Robin geschenkt hat. Als der Talisman verschwindet, ist Tairo untröstlich - und beschließt, sich auf die Suche nach "Mister Universo" zu machen. Denn Arthur Robin, 1927 auf der Karibik-Insel Guadeloupe geboren, war in den 1950er-Jahren der erste schwarze Mister Universum. Nach seiner Bodybuilder-Karriere ging Robin als Eisenbieger zum Zirkus, 1968 heiratete er die Voralbergerin Lily, mit der er heute zurückgezogen in Norditalien lebt. - Der Film "Mister Universo" begleitet auf einfühlsame Weise Tairo bei seiner Suche, ein Road Movie, das in verschiedenen Zirkussen Italiens, wo Familienmitglieder und Freunde Tairos tätig sind, Station macht, bis Tairo den heute 89-Jährigen aufspürt. - Die Filmemacher Tizza Covi und Rainer Frimmel arbeiten einmal mehr an der Grenze von Spiel und Dokumentarfilm - und sie bleiben wie in ihren früheren Arbeiten dem Zirkusleben verhaftete. Auch wenn diesem Milieu längst ein Flair des Morbiden und des Untergangs innewohnt, gelingt Cozzi und Frimmel ein lebensfrohes Porträt Tairos, eine aufbauende Filmgeschichte voller Optimismus und herzzereißend schöner Szenen. Eine kleine, aber durch und durch liebenswerte Welt. (Otto Friedrich)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung