Ein Leben lang voll heilloser Sehnsucht

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Makellos ist Richard Yates Roman "Eine strahlende Zukunft" nicht. Es lohnt sich aber trotzdem in den Roman, der vom Träumen und Scheitern erzählt, einzutauchen.

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Makellos ist Richard Yates Roman "Eine strahlende Zukunft" nicht. Es lohnt sich aber trotzdem in den Roman, der vom Träumen und Scheitern erzählt, einzutauchen.

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Seit Ende der Siebzigerjahre lebte Richard Yates früh gealtert und zurückgezogen in Boston und versuchte, seiner Alkoholsucht und seinen körperlichen Gebrechen beharrlich literarische Werke abzutrotzen. 1984, acht Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte er "Young Hearts Crying", seinen umfangreichsten Roman, der dank der vor gut zehn Jahren einsetzenden Wiederentdeckung dieses großen amerikanischen Erzählers unter dem Titel "Eine strahlende Zukunft" auf Deutsch übersetzt wurde.

"Eine strahlende Zukunft" wirkt auf den ersten Blick wie ein Remake von Yates' meisterlichem Debütroman "Zeiten des Aufruhrs" (1961) und spielt mit dessen Themen. Und wieder ist es kaum verhohlen autobiografischer Stoff, den Yates -so sein bewährtes Erzählverfahren - hin und her wendet und in immer neuen Variationen darbietet. Lucy und Michael Davenport heißen die Protagonisten diesmal, ein junges Paar, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg früh heiratet und eine Tochter, Laura, bekommt. Während Lucy aus vermögendem Elternhaus stammt und ein reich gefülltes Bankkonto aufweist, träumt Michael von seinem literarischen Durchbruch als Lyriker und Dramatiker. Vom Geld seiner Frau möchte er nicht leben, sodass beide zuerst eine bescheidene Wohnung im West Village Manhattans beziehen, ehe sie -ein Trauma für viele Figuren Yates' - einen fatalen Schritt tun und sich in den öden "Vorstadtdschungel" von New York zurückziehen. Dort, wo nur Ehepaare leben, die ihre Kinder auf gepflegten Rasenflächen vor dem Elend der Großstadt bewahren wollen, reiben sich die Davenports aneinander auf. Michael verdingt sich als Lohnschreiber, veröffentlicht seine ersten Lyrikbände, ohne dass ihm dies mehr als wohlmeinende Anerkennung unter Insidern einbrächte, und trinkt sich jeden Tag mit Whiskey schön.

Autobiografische Einschübe

Die Ehe der Davenports hält diesem Druck nicht stand, zumal Michael unter psychotischen Schüben leidet, die -eine autobiografische Episode, die Yates bereits in seinem Roman "Ruhestörung" aufgegriffen hatte -zu einer Einweisung in das berüchtigte Krankenhaus Bellevue am East River in Manhattan führt. Auf der Höhe ihrer Ehestreitigkeiten ist Lucy davon überzeugt, den Klang seiner Stimme und den Anblick seines Gesichts nicht mehr ertragen zu können. Das Paar trennt sich, und Michaels Welt ist zerbrochen: "Er war fünfunddreißig und hatte bei dem Gedanken, allein leben zu müssen, Angst wie ein kleines Kind."

Richard Yates hat die drei Kapitel seines Romans präzise strukturiert, Handlungsstränge und Motive eng miteinander verwoben. Der Mittelteil kreist um Lucy, die sich auf verschiedenen Feldern versucht - als sei sie eine Verwandte von Emily Grimes, der selbstständigen und dennoch so glücklosen Frauenfigur in Yates' grandiosem Roman "Easter Parade". Weder als Schauspielerin (wie April Wheeler in "Zeiten des Aufruhrs") noch als Schriftstellerin, noch als Malerin findet sie Erfüllung, und auch ihre Affären sind selten mehr als flüchtige Abenteuer mit Männern, die sich als Enttäuschungen erweisen. Michael hingegen wähnt seine "zweite Chance" gekommen. Er findet Unterschlupf als Creative-Writing-Dozent an einer Provinzuniversität und heiratet ein weiteres Mal, die zwanzig Jahre jüngere Sarah, mit der er ein zweites Kind bekommt. Doch wie es in einem Yates-Roman kaum anders zu erwarten ist: Vom - wie es Michael sieht - aufkommenden "feministischen Schwachsinn" getrieben, entfernt sich Sarah von ihrem psychisch zerrissenen Mann, und am Ende scheint es mehr als fraglich, dass sie jemals zu ihm nach Boston zurückkehren wird.

Der Roman handelt vor allem von dem, was Yates zeitlebens nie losließ: von Träumen, die sich nicht realisieren lassen, von Ansprüchen, denen man selbst und denen die Welt nicht genügt. Das Fazit ist bedrückend: "Wir waren ein Leben lang voller Sehnsucht. Ist das nicht schrecklich?" Die Fatalität dieses permanenten, heillosen Strebens spiegelt sich immer wieder in großartigen Bildern, in kleinen Szenen, die so typisch für die Yates'sche Erzählkunst sind. Glanzvoll zum Beispiel, wie Yates die junge Lucy beschreibt, als sie sich mit Michael im Restaurant trifft und ihre Papierserviette vor Anspannung in "streng parallele Streifen" zerreißt. Anrührend, wie sie es Jahre später nicht erträgt, mit anzusehen, wenn einer ihrer Liebhaber sich mit einer Jüngeren davonmacht: "Später sah sie vom Wohnzimmerfenster aus, wie die Schnauze seines alten Wagens auf der anderen Seite des Wohnheims hinter den Bäumen auftauchte. Ein Sonnenstrahl verdunkelte die Windschutzscheibe, und Lucy wandte sich rasch ab, kauerte sich nieder und bedeckte mit beiden Händen die Augen: Sie wollte Julie Pierce nicht neben ihm sitzen sehen."

Die vom Leben Gebeutelten

Rund dreißig Jahre umfasst "Eine strahlende Zukunft" und ist neben den Liebes- und Lebensdesastern seiner Haupt-und Nebenakteure vor allem als Künstlerroman angelegt. Viel stärker als in seinen anderen Büchern führt Yates ein breites Spektrum künstlerischer Existenzen vor. Er zeigt ambitionierte Maler, die im Mittelmaß versinken; er zeigt Emporkömmlinge, die mit Ratgebern oder flotten Broadway-Stücken reichlich Geld verdienen, und er zeigt Michael Davenport, der die Bücher, die er schreiben will, nie schreibt. Immerhin springt dieser im Familienleben gelegentlich über seinen Schatten - etwa als er seine in Kalifornien fast zugrunde gehende Tochter Laura rettet.

Trotz der Qualitäten, die "Eine strahlende Zukunft" auszeichnen, reicht der Roman nicht an "Zeiten des Aufruhrs" oder "Easter Parade" heran. Das liegt zum einen daran, dass er Längen hat und in den Partydialogen zu Wiederholungen neigt. Zum anderen ist Michael Davenport eine sich zu sehr im Selbstmitleid ergehende Figur, die für ihr Scheitern fast immer die anderen verantwortlich macht. Ein alter Freund Richard Yates' - der Starkritiker Anatole Broyard - wies auf diese Schwachpunkte hin, als er im Oktober 1984 an markanter Stelle, in der Sonntagsausgabe der New York Times, einen gnadenlosen Verriss veröffentlichte und Yates' Bedeutung als Autor grundsätzlich in Frage stellte. Broyard, der selbst lieber Romancier als Kritiker geworden wäre, traf Yates ins Mark. In seiner Bostoner Stammkneipe las Yates, was sein früherer Wegbegleiter auszusetzen hatte, und zog vom Alkohol befeuert kurzzeitig in Erwägung, nach New York aufzubrechen, um Broyard nicht nur verbal in die Schranken zu weisen. Klugerweise nahm Yates in ausgenüchtertem Zustand davon Abstand. Im Nachhinein neigt sich die Waage ohnehin stärker auf seine Seite, denn selbst wenn "Eine strahlende Zukunft" kein makelloses Werk ist, so lohnt es sich allemal, in diese Welt nie zur Ruhe kommender Sehnsüchte einzutauchen und am Ende Lucy und Michael, die vom Leben Gebeutelten, bei einem wunderbar lapidar geschilderten Wiedersehen zu beobachten, das wohl keinen Leser kalt lassen wird.

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