Ein Mann wie aus der Zeit gefallen

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Vier Stunden lang dokumentiert sich Peter Kubelka in Martina Kudlácek Film "Fragments of Kubelka“ selbst. Er lässt keine Ebene und keine Metaebene aus.

Ein Mann wie ein Exzess. Und ein Mensch, der völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Es fällt schon schwer, Peter Kubelkas Profession(en) und Passion(en) in Worte zu fassen. Als Filmtheoretiker oder Avantgardefilmer firmiert der heute 79-Jährige am ehesten im kollektiven Gedächtnis. Aber das ist eine völlig unzulässige Verkürzung eines lebenden Gesamtkunstwerks. "Koch, vergleichender Theoretiker, scharfsinniger Beobachter, Kulturanthropologe, Sammler, Künstler, Mitbegründer der Anthology Film Archives in New York, Filmemacher, Avantgardist, Musiker, Reisender und subtiler Theoretiker des Essens“ - so wesentlicher treffender eine Charakteristik von Kubelka, nachzulesen auf der Homepage der Städelschule. Kubelka leitete an dieser Frankfurter Kunstuni zwischen 1978 und 1999 die Klasse für "Film und Kochen als Kunstgattung“, wahrscheinlich gibt es weltweit kaum einen Lehrstuhl für Kulturphilosophie, der das Feld zwischen Cinematografie und Kulinarik dergestalt aufspannte, sodass die Fragen des Daseins, wenn nicht gar die Auseinandersetzung mit dem Sein an sich darin Platz fänden.

Ein cineastischer Geheimtipp

Im Foyer des Wiener Gartenbaukinos hängt zurzeit ein Triptychon aus Filmstreifen - "Monument Film“ heißt dieses und ist auch ein Werk Peter Kubelkas. Dem damals verstörenden Sechseinhalbminüter "Arnulf Rainer“ aus 1960, in dem Kubelka mit Licht, Dunkel, Ton und Stille experimentierte, folgte 52 Jahre später der quasi komplementäre Streifen "Antiphon“. Beide Filme wurden auf der Viennale 2012 nicht nur hintereinander und nebeneinander gezeigt, sondern auch als Bild: Kubelka ließ die realen Filmstreifen in jeweils 128 gleich lange Portionen schneiden und untereinander an die Wand nageln, sodass jeweils ein Rechteck aus diesen Filmstreifen entstand: "film ist auch mit nackten sinnen erfahrbar, wie ein lebensmittel, das man angreifen, zurichten und roh essen kann“, steht als Erklärung unter der Installation.

Eine - gefühlte - halbe Stunde lang schaut der Zuseher Peter Kubelka zu, wie er ein Wiener Schnitzel paniert, in heißer Butter mit einem Schuss Öl herausbäckt und dann mit Inbrunst verspeist. Als "Edible Metaphor - Essbare Metapher“ hält die alles andere als gesunde Fleischspeise her, bekommt in des Meisters Weltsicht, Koch- und Esskunst einen poetischen Beigeschmack. "I am not unhappy“, fasst Kubelka mit wienerischem Understatement seine Genusslage zusammen: Man darf so als Zaungast im Kino einer Szene beiwohnen, in der das Glück ganz offensichtlich zu Hause ist.

Beschriebene Sequenz ist die Apotheose eines 232 Minuten währenden Dramas, das sich "Fragments of Kubelka“ betitelt und von der Dokumentarfilmerin Martina Kudlácek realisiert wurde, als cineastischer Geheimtipp herhält. Gleich zweifach wird das außergewöhnliche Opus seinem Protagonisten gerecht. Denn der Titel ist beileibe keine Koketterie: Nein, Peter Kubelka ist kaum anders als fragmentarisch beizukommen. Und selbst wenn das alles nur Stückwerk bleibt: Vier Stunden muss es schon dauern, um sich diesen Lebens- und Schaffensexzess zumindest ein wenig im Kinosessel zu ersitzen.

Wer Peter Kubelka je in seinem Schalten und Walten erlebt hat, weiß, dass jedes Ansinnen, seiner (Denk-)Welt gerecht zu werden, unweigerlich in die Dominanz seiner Person mündet. Vom ersten Moment an ordnet sich Kudlácek dieser unter, aber es ist ihrem beharrlichen Nachgehen und kaum nachahmlicher Kunst der Auswahl zu verdanken, dass man Kubelka, wie er leibt und lebt, hier vor Augen hat.

Nochmals: Peter Kubelka ist aus aller Zeit herausgefallen - auch das verbindet deftige Kulinarik mit dem Experimentalfilm. Denn ebenso wie das Wiener Schnitzel ein geradezu vormodernes, wenn nicht archaisches Mittel zum Stillen des menschlichen Genusssinns darstellt, so sind die Kubelka’schen Filmtheorien untrennbar mit den belichteten, einst aus Zelluloid hergestellten Streifen verbunden, die mit den heutigen vieldimensionalen, digitalen und surround-beschallten Ungetümen, welche die Mulitplex- und IMAX-Säle erhellen und bedröhnen, herzlich wenig zu tun haben.

Peter Kubelka schaut seine Filme an

Dass er als einer, der Zeit wie Moden hinter sich lässt, sein Werk treibt, hat Peter Kubelka nie gestört. Wie weitläufig, menschheitsgeschichtlich und doch mutterwitzig-erdig das vor sich gehen kann, davon zeugt das monumentale Fragment über das menschliche Monument namens Kubelka.

Der Meister erzählt in österreichisch gefärbtem Englisch, nur wenige andere kommen in den vier Stunden zu Wort. Er expliziert etwa, wie er mit dem vermeintlichen Werbefilm "Schwechater“ 1958 Auftraggeber sowie Freund und Feind vor den Kopf stößt. In "Fragments of Kubelka“ kann man den Protagonisten beim Betrachten dieses und anderer Leinwandkunststücke zuschauen. Darunter eben auch "Arnulf Rainer“ (1960) - wo Film auf vier Grundelemente (wie Wasser, Feuer, Erde, Luft) reduziert wird. In den 70er-Jahren, der Hochzeit des Wiener Aktionismus, dreht er dann tatsächlich einen Film mit Rainer ("Pause!“), in dem der Maler sich vor der Kamera körperlich verrenkt und entäußert (ein paar herauskopierte Filmstills verwendet Rainer dann für seine Übermalungen).

Etwa zehn Jahre zuvor gelang es Kubelka, in den USA mit Experiment und Film ebenso zu reüssieren wie mit seiner Kochtheorie und -praxis. Legendär da seine Kochshow auf dem New Yorker Channel 13 (1972). In Amerika entwickelte er auch das Konzept des "Invisible Cinema“ und testete dieses in den New Yorker "Anthology Film Archives“ (1970). Bereits 1964 hatte er in Wien mit Peter Konlechner das Österreichische Filmmuseum gegründet - bekämpft von der Baubürokratie, die seinem Enthusiasmus für einen vollkommen schwarzen Raum, der jede Ablenkung vom Geschehen auf der Leinwand hintanhält, Stein um Stein in den Weg legte. Aber 1989 wurde das "Unsichtbare Kino“ auch in Wien Wirklichkeit, heute noch residiert das Österreichische Filmmuseum, das Kubelka bis 2001 leitete, in der Albertina.

1996 kuratierte Kubelka dafür das zyklische Programm "Was ist Film?“ - 64 Abende von den ersten Filmversuchen der Brüder Lumière bis zu den schon zur Kunstgeschichte zählenden Arbeiten Kubelkas selber. Das Programm läuft bis heute jeden Dienstag im Filmmuseum - und beginnt nach dessen Ende wieder von vorne.

Perpetuum Mobile. Auch dieses Attribut dürfte Peter Kubelka nicht fremd sein. In Martina Kudláˇceks "Fragments of Kubelka“ kann man sich ein Bild davon machen.

Fragments of Kubelka

A 2012. Regie: Martina Kudláˇcek.

Stadtkino. 232 Min.

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