Ein mit höchster Präzision inszenierter Ehehorror

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Eugène Ionescos „Delirium zu zweit“: Präziser Schlagabtausch zweier, auch (körper-)sprachlich virtuoser Schauspieler. Zu sehen ist diese amüsante Farce an den Linzer Kammerspielen.

Der gebürtige Rumäne Eugène Ionesco (1912–1994), der 1938 mit einem Stipendium nach Paris kam, sollte später die französische Metropole und Heimat seiner Mutter zu seinem Lebensmittelpunkt machen. Er gilt neben Samuel Beckett als der klassische und konsequenteste Vertreter des absurden Dramas. Die Komik bei Ionesco sei „das notwendige Mittel, um uns in unseren intellektuellen Gewohnheiten zu erschüttern, in unserem Rationalismus, in unserem Cartesianismus“, schreibt Alain Robbe-Grillet, einer der Hauptvertreter des „Nouveau Roman“, schon 1953. „Wir hätten das legitime Recht, von Panik erfasst zu sein, aber alles, was wir tun können, ist lachen.“

„Krachender“ Auftakt

Und genau das tun wir auch, wir, das Publikum, wenn wir den von Schauspielchef Gerhard Willert, dem sich auch die geschmeidige Neuübersetzung verdankt, mit höchster Präzision inszenierten Ehehorror der beiden Protagonisten auf der kahlen Bühne (Florian Parbs) verfolgen. Diese „Bühne“! Wie ein aus seinen Angeln gerissenes Riesentor kracht eine Holzwand auf die Bretter, die üblicherweise „die Welt“ bedeuten.

Krach! – Synonym und Auftakt für das verbale Duell der Frau (Barbara Novotny) mit ihrem Mann, namenlos auch ER (Vasilij Sotke). Ein paar Handgreiflichkeiten geben den Worten gelegentlich Nachdruck. Der Kampfgeist der beiden geht so weit, dass sie sich sogar in Fechtpositionen werfen – gottlob ohne Florett oder Säbel! – und nicht wahrnehmen, dass außerhalb ihres Hauses ein heftiger Krieg tobt, so sehr sind sie beschäftigt, einander Vorwürfe zu machen und zu beleidigen. ER und SIE hören nicht die Explosionen, nicht die bedrohlichen Geräusche draußen, nicht einmal die Schüsse. Eine Kugel zerschlägt eine Fensterscheibe. Knall! ER öffnet das Fenster und schaut hinaus und stellt fest: „Eine Granate! Sie greifen mit Granaten an!“ „Sie“ – Wer? – Wir erfahren nichts Näheres. Immerhin beginnen ER und SIE sich zu verbarrikadieren. Trotz der immer gefährlicher werdenden Situationen – Bruchstücke fallen von der Decke, die Wände wackeln! – hört das liebend’ Paar nicht auf, miteinander zu streiten.

Skurrile Wichtigkeiten

Worüber streiten sie eigentlich ununterbrochen und leidenschaftlich? Am Anfang ging es um IHRE Behauptung, dass Schnecke und Schildkröte ein- und dasselbe Tier seien, während ER widersprach und versuchte, IHR das Gegenteil zu beweisen. Aber die unsinnigen Anlässe für einen Streit um Nichtigkeiten mit dem Stellenwert von Wichtigkeiten, die zunehmend skurriler werden, nehmen kein Ende. Sollte uns das nicht bekannt vorkommen?

Punktgenau akzentuiert werden die einer Endzeit entgegensteuernden Vorkommnisse durch Musik/Geräusche von Christoph Coburger mit Bernhard Schabmayr am Keyboard (Licht: Helmut Janacs).

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